Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
Vom Netzwerk:
zum Punkt. Ihre Erschöpfung wich der Lust, ihn zu bestrafen. Gleich wurde sie von Alevs Stimme in ihrem Kopf ermahnt: Rachsucht, Kleinchen, ist gefährlich. Sie macht uns berechenbar.
    »Kein Problem«, sagte sie zum Brigadegeneral. »Ich hätte ohnehin nicht mitfahren können.«
    »Oh«, sagte er erfreut, »hattest du etwas Besseres vor?«
    »Ich muss arbeiten, um für meine Schulgebühren aufzukommen.«
    Er trat einen Schritt seitwärts, als hätte sie ihn vor die Brust gestoßen, fand das Gleichgewicht wieder und stellte die Füße schulterbreit wie ein Scharfschütze, während seine Augen über die Sporttasche am Boden, ihr Gesicht und die beleuchteten Fassaden der Nachbarschaft wanderten.
    »Du arbeitest in den Ferien?«
    Ada genoss es für ein paar Sekunden, einem angeschossenen Opfer zuzusehen.
    »Ob du es glaubst oder nicht«, sagte sie, »es macht mir nichts aus. Ich war nie der Meinung, dass du verpflichtet seiest, für mich aufzukommen. Ich wundere mich bloß, wofür du die ganze Kohle brauchst.«
    »Du bist doch superschlau. Guck ins BGB unter dem Stichwort Trennungsunterhalt.« Als sie zu lachen anfing, stimmte er mit ein. »Sagen wir so: Ich hab's ausgegeben.«
    »Gut so«, nickte sie, »das klingt schon besser.«
    »Manchmal bist du mir unheimlich.«
    »Mein Geschichtslehrer sagte einmal zu mir, wenn er mein Vater wäre, hätte er mich in der Badewanne ertränkt, als noch Zeit dazu war.«
    Jetzt legte der Brigadegeneral den Kopf zurück und lachte befreit zum Nachthimmel hinauf.
    »Sehr gut!«, rief er, fast ein bisschen zu laut. »Das nenne ich postmoderne Pädagogik. Dem Jungen werde ich bei Gelegenheit auf die Schulter klopfen.«
    »Das wird schwierig. Er hat sich vom Dach der Schule zu Tode gestürzt und ist mir direkt vor die Füße gefallen.«
    Der Blick des Brigadegenerals kam zurück von den Sternen und suchte Adas zu begegnen, aber ihr bleiches Gesicht im Schatten schien augenlos wie der Mond. Die Zeit, die er brauchte, um die neue Information zu verarbeiten, nutzte sie, um dem Rhododendron des Nachbarn ein paar Blätter auszureißen und auf den Boden zu werfen. Mit einer Hand rieb der Brigadegeneral so rücksichtslos sein Gesicht, als wollte er jeden Rest von Mimik auslöschen.
    »Ein schlechtes Zeichen für die Menschheitsgeschichte, wenn Historiker von den Dächern springen.«
    »Ja«, sagte Ada, »ein sehr schlechtes Zeichen.«
    Es entstand eine Schweigepause, die keiner von ihnen sinnvoll zu füllen wusste.
    »Und wie läuft sie so«, fragte er endlich, »deine - Arbeit?«
    Natürlich kannte er die Summe, die inzwischen aufgelaufen war, und er wusste genau, was Ernst-Bloch auch in Zukunft monatlich kosten würde. Ada spürte den Geschmack eines frisch begangenen Fehlers auf der Zunge.
    »Ganz okay«, sagte sie abweisend, »obwohl es heute Ärger gab.«
    »Es ist halb elf. Bedienst du in einer Kneipe?«
    »Ich war um achtzehn Uhr fertig. Die letzten Stunden habe ich bei Alev im Internat verbracht.«
    »Ist das dein Freund?«
    »Mit ein bisschen gutem Willen könnte man es so nennen.«
    Wieder grinsten sie sich an. Beide schätzten die herzlose Art, miteinander umzugehen. Noch auf der Planke eines Piratenschiffs hätten sie Grund für sarkastische Witze gefunden.
    »Was für Ärger?«
    Es wäre angenehm gewesen, ihm davon zu erzählen, stell dir vor, Smutek ist ausgerastet, der dumme Kerl. Das Bedürfnis, sich Luft zu machen, ließ sich nur mit einiger Verstandesanstrengung unterdrücken.
    Eigentlich hatten sie sich heute besonders wohl gefühlt auf dem leeren Schulgelände. Ein Bienenkollektiv hatte geschäftig in den Holundersträuchern gebrummt, die Nachmittagssonne schien mit fast sommerlicher Kraft, alle drei hatten die Jacken an den Ärmeln um die Hüften gebunden und wünschten sich zur Begrüßung nachträglich Frohe Ostern. Die Turnhalle war sehr warm gewesen und hatte nach körperlicher Ertüchtigung und wohlkonstruierten Geräten gerochen. Als Alev aber ein schwarzes Tuch aus der Tasche zog, es Smutek zuwarf und Ada ihm die Handgelenke entgegenstreckte, richtete er sich auf wie ein Bär und war plötzlich ein riesiger Lehrer vor zwei kleinen Kindern.
    »Das ist anormal!«, brüllte er. Es war ohne weiteres zu erkennen, dass er rot sah. Alev wich angewidert ein paar Schritte vor ihm zurück. »Das ist pervers! Was seid ihr für Menschen!«
    »Schscht«, machte Alev, »Schreien ist keine gute Idee. Contenance, wenn ich bitten darf.«
    »Anormal«, wiederholte Smutek mit

Weitere Kostenlose Bücher