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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Kopf nach dem anderen in die Höhe, schwer behufte Füße stampften das nasse Gras, Samtohren aller Farben spielten nervös und legten sich schließlich flach an die Schädel. Ada begann zu rennen. Das brachte die Herde auf, sie schien sich wie ein Schwarm riesiger Vögel ein Stück in die Luft zu erheben und galoppierte davon. Rufend und armeschwenkend lief Ada quer über das weitläufige Terrain, berauscht von der Vorstellung, in nächster Sekunde wie ein wildernder Hund von einem Jäger erschossen zu werden. Als sie genug hatte, setzte sie sich auf den oberen Holm des Zauns, sorgsam das gelbe Band vermeidend, von dem sie nicht wusste, ob es Strom führte.
    Im Rückblick stand ihr der vergangene Abend viel klarer vor Augen. Ausnahmsweise funktionierte ihr Gedächtnis hervorragend, auch wenn die Sätze, die es präsentierte, keinen rechten Sinn ergaben. Konnte Alev ernsthaft behaupten, das Teuflische oder ein Stück des Teuflischen zu sein? Betrieb er etwa das ermüdende Topf schlagen der Identitätssuche, das Ada nach den ersten halbherzigen Versuchen wieder aufgegeben hatte, überzeugt, dass es dabei nichts von Bedeutung zu finden gebe?
    Sie schloss die Augen und versuchte, in der Thermik ihrer Gedankengänge an Höhe zu gewinnen, um Alev, sich selbst und die Frage, was er von ihr wolle, von oben zu besichtigen. Als sie die Augen wieder öffnete, war ein Pony nah herangekommen und legte seine Schnauze in ihre zur Schale geformten Hände. Weich und warm blies der Atem. Die Hände waren leer, das Pferd wandte sich ab. Ada wusste nicht, ob sie zuvor schon einmal eine Pferdenase berührt hatte. Vielleicht als Kind. Sie hatte nicht gewusst, wie angenehm das war. Jetzt war es zu spät, sie würde ein Leben ohne Pferde führen, wahrscheinlich auch ohne Katze und ohne Hund.
    Wäre man wie ein antiker Grieche daran gewöhnt, keinen Teufel zu brauchen, weil die Götter ausreichend menschliche Züge besaßen, ihr Chef der größte Verbrecher war und zum Olymp manch ein Weg hinauf- und hinunterführte, hätte Alevs Behauptung kaum Erstaunen hervorgerufen, sondern bestenfalls den Wunsch nach Überprüfung. Wer aber auf christlichem Boden aufgewachsen war, und hiervon schloss Ada sich selbst ausnahmsweise nicht aus, dem war die Aufspaltung von gut und böse in Fleisch und Blut übergegangen, und er würde jeden, der vorgab, eine personifizierte Synthese aus Gott und Teufel zu sein, für einen Spinner halten. So viel stand fest.
    Sie sog ein paar Liter pferdeduftender, grasfeuchter, irrtumsfreier Luft in sich hinein. Nicht minder stand fest, dass ihr Bedürfnis, Alev ernst zu nehmen, nicht der Ratio, sondern einem Instinkt entsprang. Seine Inszenierungen zu entlarven war derartig leicht, dass ein Versuch keinen Sinn ergab. Als sie vom Zaun sprang, hoben die Ponys erneut die Köpfe, sahen zu ihr herüber und wandten sich wieder den Halmen zu. Ada ging dicht an ihnen vorbei, ohne dass sie einen weiteren Fluchtversuch unternommen hätten. Die Jagd von eben, so schien es, war nichts als ein Spiel gewesen.
    Am Nachmittag stand eine Bergbesteigung auf dem Programm, während der Ada ausreichend Zeit hatte, tastend und flüsternd nach Gott und dem Teufel zu forschen. Alev war nur eine Bewegung am Horizont, immer schon außer Sicht, bevor sie den Blick fokussieren konnte, und Höfi verriet durch keine Regung, dass er in ihr das Mädchen erkannte, mit dem er am vergangenen Abend eine Stunde bei Wein und Worten verbracht hatte. Jeder für sich wollte in Ruhe gelassen werden, und Ada war es recht.
    Sie ließ sich ans Ende des Trecks zurückfallen, der sich im Zickzack an einer Flanke des Bergs hinaufquälte und dabei die Füße so vorsichtig setzte, als gälte es zu vermeiden, den Fels zu kitzeln. Das Geröll unter den Schuhen war glatt vom Schneematsch, der hölzerne Handlauf an der Felswand an vielen Stellen vermodert. Smutek und seine Frau trugen leichte Skianzüge in unterschiedlichen Farben, aber unverkennbar vom gleichen Modell. Schneller als erwartet waren die unteren Etagen der tief hängenden Wolkendecke erreicht. Nebelschwaden zogen eilig vorbei, wie man es sonst nur aus dem Flugzeugfenster sah. Ada hielt gleichmäßigen Abstand zu Frau Smuteks rotem Neoprenrücken und fühlte sich herrlich einsam, umgeben nur von Wasser in seinen verschiedenen Aggregatzuständen. Auch die schmale Frau vor ihr ging seit geraumer Weile allein. Ab und zu blieb sie stehen, zog die Schultern hoch und krümmte sich, als wollte sie etwas Kleines am

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