Spinnenfalle
gab es also bloß den Stehplatz.
»Moment mal«, sagte ich, ging nach nebenan und holte mir den Klavierhocker aus dem Esszimmer. »So. Was ist denn los?«
»Das solltest du ja wohl am besten beantworten können«, sagte meine Mutter mit vorwurfsvoller Stimme.
Nein! So ein Mist! Hatte Ljuba schon wieder diese Nummer der gekränkten Unschuld abgezogen?
Ich glotzte Mama an und schüttelte verdattert den Kopf.
»Ich weiß nicht, was du meinst«, sagte ich so beherrscht wie möglich, obwohl ich am liebsten verzweifelt losgeschrien hätte.
Hört das denn nie auf?, dachte ich. Was glaubt ihr denn jetzt schon wieder von mir?
»Alexandra, wir finden dein Verhalten äußerst mies«, sagte mein Vater mit seiner wohltönenden Staatsanwaltsstimme.
»Welches Verhalten?«
»Na, dass du zum Beispiel Ljuba erschreckst und ihr böse Absichten unterstellst.«
»Ach - das hat sie euch erzählt?«
»Wirst du jetzt auch noch unverschämt?«, sagte meine Mutter leise. »Als ich heute Mittag nach Hause kam, saß Ljuba in der Küche und hat sich die Augen ausgeheult, weil du ihr unterstellt hast, dass sie stehlen wollte. In Anbetracht des Vorfalls in Papas Arbeitszimmer kann man da ja wohl bei dir inzwischen fast von einer fixen Idee sprechen.«
Ich merkte, wie ich in mich zusammensackte.
Das war schlecht - dann sieht man immer wie ein schuldiger Verbrecher aus, das weiß ich aus Filmen.
Ich reckte meine Schultern und sah Papa ins Gesicht. »Nein, ich werde nicht unverschämt. Ich finde es nur ziemlich beschissen, dass ihr mir Vorwürfe macht, ohne euch überhaupt meine Version der Geschichte anzuhören. Das sind echt tolle Sitten - man wird schuldig gesprochen, ohne sich verteidigen zu können. Wisst ihr was? Ihr seid die letzten Trottel! Dass ihr der so einfach auf den Leim geht und mir alles zutraut - das ist echt gemein!«
»Alex!«, brüllte mein Vater, und Mama sagte auch was, aber ich stand auf, riss die Wohnzimmertür auf, sah noch die Zwillinge davonrennen (die bestimmt gelauscht hatten) und schnappte mir meine Jacke von der Garderobe. Dann rannte ich aus dem Haus und knallte die Haustür hinter mir zu.
Ich schloss mein Rad auf, schwang mich darauf und strampelte los.
Irgendwohin.
Der Fahrtwind kühlte mir das Gesicht, und an der Kälte merkte ich erst, dass ich geheult hatte, meine Wangen waren ganz nass. Mit zusammengebissenen Zähnen strampelte ich noch schneller.
Zu meinem Glück war kaum Verkehr, denn ich sah alles nur verschwommen und war garantiert eine Gefahr für die Allgemeinheit, wie ich da in Richtung Deich bretterte.
Dann war ich oben und trat mit aller Macht in die Pedale. Die anderen Radfahrer müssen mich für eine Verrückte gehalten haben, manche riefen mir was Witziges hinterher, aber ich war nicht in Stimmung, darauf einzugehen.
Ich fuhr wie ein Henker, bis hinter die Erdbeerbrücke und immer weiter. Es war ja erst sieben und noch völlig hell. Und noch immer warm.
Ich war schon weit hinter Habenhausen, als ich endlich langsamer wurde. Dann suchte ich mir an der Böschung ein Plätzchen, schob mein Rad dorthin und setzte mich. Vor mir floss das Wasser träge in Richtung Teerhof, ein Reiher segelte wie ein Angeber durch die Lüfte, und irgendwo quakte ein Frosch. Oder auch zwei.
In meinem Kopf war es ganz leer.
Ich hatte keine Gedanken.
Ich hatte keine Gefühle.
Ich war wie betäubt.
Ljuba war mir wieder zuvorgekommen.
Ich hätte es wissen sollen.
Sie hatte meinen Eltern irgendwas aufgetischt, die hatten es geschluckt, und ich war mal wieder die Böse, die dem armen Au-pair dauernd was Übles wollte.
Ich hatte das so satt! Ich hatte keine Lust mehr auf dieses Kräftemessen. Ich hatte noch nie Lust darauf gehabt.
Ich wollte meinen Platz in unserer Familie - mich mit Dani kabbeln und mit den Zwillingen Kalender malen oder Eis essen gehen, mit meinen Eltern über spannende Themen reden oder mich mal kurz ankuscheln.
Ich wollte mich nicht dauernd verteidigen müssen, rechtfertigen müssen, meine Unschuld beweisen müssen.
Klar, das meiste, worüber ich mich aufgeregt hatte, war Kleinscheiß gewesen, aber viele Kleinigkeiten können zusammen was Großes ergeben, und ich wurde allmählich von einem großen Vorwurf erdrückt.
Sogar mein Freund und meine Freundinnen hielten mir Gardinenpredigten und meinten, ich sei ungerecht.
Alle waren auf Ljubas Seite. Das hatte sie echt klasse hingekriegt.
Ich drehte mich auf den Bauch und vergrub das Gesicht in meiner Jacke.
Ich war müde.
Nur
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