Spitfire: Kühler Tod
waren. Ich verstehe nur nicht, warum Sie eine Person von besonderem Interesse sind.«
»Justin hat mich versehentlich angerufen, als er …« Ich schlucke schwer und versuche es noch einmal. »Wahrscheinlich war es ein Versehen, während er …« Ich kann es nicht aussprechen.
Scott reimt sich den Rest zusammen. Ich sehe, wie er begreift. »Wirklich?«
Ich nicke.
»Haben Sie irgendetwas gehört?«
»Ich habe aufgelegt«, sage ich. Ein Schock rast durch meinen Körper, als mir klar wird, dass ich meinen Freund im schlimmsten Augenblick seines Lebens im Stich gelassen habe. Ich fühle, wie die Welt um mich wankt. Als Sam an den Randstein fährt, beginntsich die Straße zu drehen und mir wird allmählich schwarz vor Augen. Gerade als meine Knie nachgeben, fasst Scott mich um die Taille. Er öffnet die Beifahrertür und hebt mich ins Auto.
KAPITEL 10
Freitag, 22. Juli
Justins Beerdigung findet in der Swedenborgian Church, einer Kirche in der Lyon Street, statt. Ich war noch nie hier, aber selbst in meiner Trauer beeindruckt sie mich. Das Dach wölbt sich über mir wie ein gekentertes Schiff. Ich lasse meinen Blick über die kunsthandwerkliche Einrichtung schweifen, bis er schließlich an dem wunderschönen Treibholzast über dem Altar hängen bleibt. Es klingt vielleicht merkwürdig, aber er passt genau hierher.
Wenn ich Gott wäre, dann würde ich hier und nirgendwo anders wohnen wollen. Natürlich würde ich auch mal die Runde zu den pompösen katholischen Basiliken, den unaufdringlichen jüdischen Synagogen, den offenen Höfen der Moscheen und so weiter machen, aber dies, genau hier, wäre meine Residenz. Der Ort, an den ich all die Gebete schicken lassen würde.
Ich sitze hinten bei Sam, ihrem Freund und Whim. Auch ein paar andere Bekannte aus der
Gehirnwäsche
sitzen bei uns.
»Wo ist Herpes?«, flüstert mir Sam ins Ohr.
Vor einiger Zeit haben Sam und ich Herpes in einer Bar getroffen. Bei einigen Bieren entwickelte sich unter den Stammkunden dort ein Mein-Job-ist-beschissener-als-deiner-Spielchen. Und natürlich hat Herpes gewonnen. Wer könnte auch den Typenschlagen, der in einem Pornoladen arbeitet, in dem die Kunden die Ware »testen« dürfen?
Ich sehe mich um. Keine Spur von dem Idioten, was gut ist. Am liebsten würde ich ihn windelweich schlagen, dafür, dass er diesen Mist von wegen autoerotischer Erstickungstod in die Welt gesetzt hat. Manche Menschen riskieren anscheinend Leib und Leben für ein bisschen Aufmerksamkeit.
Whim dreht uns den Kopf zu. »Er ist bei diesem Spionage-Event im Cow Palace.« Herpes ist ein echter Spionfreak – und überhaupt der größte Freak, den ich kenne.
In der ersten Bank sitzt Justins weinender Vater neben Justins älterer Schwester, ihrem Ehemann und ihren zwei Kindern. Mrs Thyme ist so krank vor Trauer, dass sie der Beerdigung nicht beiwohnen kann. Während der Pastor davon spricht, dass der Tod nur die Tür in das nächste Zimmer ist, ruht mein Blick auf Mr Thymes Hinterkopf. Das Ausmaß seines Schmerzes kann ich mir nicht einmal ansatzweise vorstellen.
Der Gottesdienst ist kurz und bewegend. Nachdem wir Justins Familie unser Beileid ausgesprochen haben, geht eine kleine Gruppe von uns ins
Ham on Rye,
was so viel wie Speck auf Roggen heißt. In dieser Kellerbar wird trotz des Namens kein Essen serviert, aber der Besitzer ist ein echter Charles-Bukowski-Fan und der Name ist eine Hommage an Bukowskis erfolgreichsten Roman. Wir stoßen mit ein paar
Eins, zwei, drei, mach dich frei
auf Justin an. Ich nippe an meinem Drink und verziehe das Gesicht. Er schmeckt sauer und bitter. Ich stelle das Glas ab und sehe zu, wie die anderen Trauernden ihre Biere kippen.
Nach der zweiten Runde bieten mir ein paar von Justins Freunden an, mich im Bett zu trösten. Herrgott noch mal, ich bin traurig, nicht läufig! Ich gehe zu Whim und danke ihr dafür, dass sie sich an jenem schrecklichen Tag um meine Wäsche gekümmert hat. Whim ist stockblau und macht mir prompt das gleiche Angebot wie die Kerle vor ihr. Das nehme ich als mein Stichwort und gehe.
Ich lasse mich von einem Taxi nach Hause fahren. Weil ich Angst vorm Alleinsein habe und außerdem etwas Abstand zwischenmich und die letzten paar Tage bekommen möchte, rufe ich Papa an und kündige für das Wochenende meinen Besuch an.
»Ich kann dich nur leider nicht abholen. Der Truck ist in der Werkstatt«, erklärt er hilflos.
»Was stimmt denn nicht mit ihm?«
»Irgendjemand hat Zucker in den Tank
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