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Spitfire: Kühler Tod

Spitfire: Kühler Tod

Titel: Spitfire: Kühler Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Sandoval
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Heck und winke, als die Fähre ablegt. Papa geht noch ein paar Schritte am Dock mit und winkt zurück.
    Als Papa außer Sicht ist, sehe ich mir meine Mitreisenden an. Die Touristen unterscheiden sich deutlich von den Einheimischen: Sie tragen brandneue San-Francisco-Pullover und schauen lächelnd in die Bucht hinaus, während die Einheimischen auf ihren Plätzen sitzen, ohne die Aussicht auch nur eines Blickes zu würdigen.
    Als wir uns San Francisco nähern, schleicht sich ein ungutes Gefühl in meinen Magen ein. Während ich auf den dräuenden Nebelschleier schaue, der mal wieder über der Stadt hängt, muss ich unwillkürlich an das Land, in dem die Schatten drohen, aus
Herr der Ringe
denken. Es fühlt sich an, als wären wir unterwegs nach Mordor. Und die Transamerica Pyramid ist Saurons Turm. Übrigens, liegt es an mir oder sieht Saurons Auge wirklich aus wie eine riesige, in Flammen stehende Vagina?

    Als ich die Eingangshalle betrete, lächelt mich Boots teilnahmsvoll an. »Hi Tomi. Geht es dir gut?«, fragt sie.
    »Jep«, sage ich und eile an ihr vorbei. Ich weiß ja, dass sie es nur gut meint, aber ihr mitfühlender Ton bringt meine Augen schon wieder zum Überlaufen. In meinem Büro angekommen, lasse ich meine Tragetasche unter den Schreibtisch plumpsen. Auf dem Stuhl liegen ein Umschlag und eines dieser winzigen Tequilafläschchen, die man im Flugzeug bekommt. Ich erkenne Sams Handschrift und öffne die Karte:
    Im Falle eines Notfalls am Verschluss drehen.
    Genauso sollte man eine trauernde Freundin trösten – mit Humor. Ich lache durch meine Tränen. Dann setze ich mich, trockne mir das Gesicht mit einem Taschentuch und schnäuze mich.
    Jin Durand streckt ihren Kopf in mein Büro. Ich tue so, als würde ich sie nicht bemerken, und logge mich in meinen E-Mail-Account ein – in den fürs Büro, nicht in meinen privaten. Sie schleicht trotzdem herein und hält inne, als sie das Tequilafläschchen sieht.
    »Ich brauche diese Presseerklärung auf Spanisch. Bitte übersetzen«, verkündet sie und drückt mir ein Blatt Papier in die Hand.
    Ich werfe einen Blick darauf und lese »Imperial-Hotel« in der Überschrift. Das ist das Hotel auf der Isla Mujeres, das die Firma entwerfen soll. Ich reiche ihr das Blatt zurück. »Tut mir leid, aber ich spreche kein Spanisch.«
    Jins Augen verengen sich zu Schlitzen, als nähme sie an, ich wolle mich nur vor zusätzlicher Arbeit drücken. »Ich habe das schon mit Scott besprochen«, erklärt sie.
    »Tatsächlich?«, frage ich verblüfft. Scott ist gerade in New York, also kann ich ihn im Augenblick nicht fragen. »Wann war das?«
    »Gestern.«
    Jetzt bin ich ernsthaft verwirrt. Scott weiß doch, dass ich kein Spanisch spreche. Warum sollte er Jin dann grünes Licht für diesen Auftrag geben?
    »Ich spreche wirklich kein Spanisch«, erkläre ich noch einmal, lasse dieses Mal aber die Entschuldigung weg. Ich entschuldige mich aus Prinzip immer nur einmal.
    Jin wirbelt herum und stürmt aus dem Büro. Das Telefon klingelt. Ich erwarte Scott zu hören, er ruft immer mindestens tausend Mal an, wenn er nicht in der Stadt ist. Aber diesmal ist er es nicht.
    »Ist Dempster Martin zu sprechen?«, meldet sich eine barsche Stimme.
    Ich erinnere mich an das, was Scott über Telefonverkäufer gesagt hat, die als Einzige seinen echten Namen benutzen. »Hier gibt es niemanden, der so heißt.«
    »Spreche ich mit Royce Durand & Associates?«
    »Ja.«
    »Wovon zum Teufel sprechen Sie dann? Holen Sie Dempster ans Telefon. Sofort!«
    Getreu dem Trauerstufenmodell fühle ich, wie sich meine Depression in Wut verwandelt. »Höre ich mich für Sie vielleicht wie ein Dempster an?«, fauche ich und richte all meinen Zorn auf den Anrufer.
    »Sind Sie vielleicht wichtig? Holen Sie mir gefälligst jemanden, der es ist! Holen Sie Royce!«
    Ich stelle mir diesen Typen vor, wie er da sitzt mit seinem Headset und einer Liste von Architektennamen vor sich. »Sie können mich mal!«, höre ich mich sagen.
    Der Anrufer holt so tief Luft, als wolle er mich einfach wegpusten. »So sprechen Sie nicht mit mir!«
    Mich in der sicheren Anonymität eines Telefonats wiegend, werde ich frech. »Ach ja? Aber das habe ich doch schon. Sie können mich mal! Kreuzweise!«
    »Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?«
    »Es ist mir scheißegal, wer Sie sind!«
    »Sie dumme Kuh! Das kostet Sie Ihren Job!«
    »Fick dich, du verfickter Ficker!« Ich lege auf. In solchen Momenten genieße ich die Endorphinausschüttung,

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