Splitter im Auge - Kriminalroman
Schulter in dessen Richtung.
Steiger prostete ihm mit Glückwünschen zu, und der Bootsmann prostete zurück. Seinen Namen hatte er bekommen, weil er mal bei der Marine gewesen war, und je mehr Bier er am Abend intus hatte, desto enger drehten sich seine Geschichten um diese Zeit in seinem Leben. Meistens ging es um Kameradschaft und solche Dinge, die er nie wieder so erleben würde wie damals, um Freundschaft und um ein Leben, das unbeschwert war. Jedes Mal, wenn er davon sprach, rettete er ein wenig dieser Unbeschwertheit in die Gegenwart herüber, kam es Steiger vor, und er fand, dass das kein schlechtes Mittel war, um besser durch die Tage zu kommen.
Nach dem zweiten Bier ging er. Es hatte angefangen zu regnen, und als er seine Wohnung erreichte, war sein Haar so nass, dass er sich den Kopf mit einem Handtuch trocken rieb. Aus einer Schublade der Kommode im Flur nahm er sich ein Päckchen Tabak, Zigarettenpapier und einen kleinen Rest Shit, den er in Alufolie aufbewahrte. Er würde bald neuen brauchen. Damit schlief er wenigstens die ersten Stunden in der Nacht. Nach den ersten beiden Zügen legte er die Kippe in einen Aschenbecher, schob »The Kick Inside« von Kate Bush in den CD -Player und zog sich bis auf die Unterwäsche aus. Er legte sich rücklings aufs Bett, sah dem Rauch dabei zu, wie er an die Decke stieg, und dachte daran, wie er diese Stimme 1978 zum ersten Mal gehört hatte. Noch heute hätte er die Stelle auf der A42 sagen können, wo er gerade fuhr, als der Moderator im Autoradio etwas ganz Neues angekündigt hatte. Und noch heute hätte er sich dafür ohrfeigen können, das Konzert ihrer einzigen Tournee 1979 in der Mercatorhalle verpasst zu haben. Die kommt nächstes Jahr wieder, hatte er gedacht. Scheiße.
Er lag da, rauchte in langen Zügen und wurde langsam müde.
Zwei SMS hatte Caroline Thamm noch gesandt, zwei eigenartige SMS, und war danach nicht mehr gesehen worden. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem der Mann, der für ihren Mord verurteilt worden war, achtzehn Stunden im Polizeigewahrsam gesessen hatte. Eigenartig.
Allmählich fiel ihm das Denken schwer, und er drückte die Kippe im Aschenbecher aus. Kate Bush sang »The Man with the Child in His Eyes«, ihre Stimme füllte den Raum.
17
»Du siehst furchtbar aus, Steiger«, sagte Peter Schulze, als Steiger ihm am nächsten Morgen um fünf Minuten nach zehn gegenübersaß. »Solltest vielleicht mal mehr schlafen und weniger trinken.«
Steiger sagte nichts. Sein Kopf tat weh, was nach zwei Bier und etwas Shit am Vorabend sonst eigentlich nicht passierte.
Peter Schulze nahm sich eine Aktenmappe aus der Schublade und schlug sie auf.
»Ich muss dir ja nicht sagen, dass du dir einen Anwalt nehmen kannst und nicht auszusagen brauchst, ja? Ist ja schließlich nicht dein erstes Diszi.«
»Danke, dass du mich erinnerst. Und für so was brauch’ ich keinen Anwalt«, sagte Steiger und überlegte, ob er in seinem Schreibtisch noch Aspirin hatte.
»Okay, genug der Vorrede. Ich lese dir den Vorwurf mal vor.«
»Können wir uns das nicht ersparen, wir wissen doch, worum es geht?«
»Nein, können wir nicht«, sagte Schulze, ohne hochzusehen. »Also, dem Kriminalhauptkommissar Thomas Adam wird ein Verstoß insbesondere gegen § 62 Landesbeamtengesetz NRW (Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst) zur Last gelegt: Hintergrund ist die Alarmierung zu einer Übungslage in der Nacht zum 06. August 2010, bei der ein terroristischer Angriff auf den Flughafen Dortmund simuliert werden sollte. Die Übung hatte unter anderem das Ziel, die Alarmierungsprozesse der Kräfte in der ersten Phase der BAO zu überprüfen und ggf. zu optimieren. Gegen 02.30 Uhr wurde KHK Thomas Adam von KOK Dieter Pries telefonisch darüber informiert, dass eine Übungslage durchgeführt werde und er umgehend auf der Dienststelle zu erscheinen habe. KHK Adam sagte daraufhin wörtlich: ›Ich komme auf keinen Fall, für so etwas bin ich zu alt.‹ Auch ein wiederholtes …«
»Das stimmt so nicht«, ging Steiger dazwischen, »das habe ich so nicht gesagt.«
Schulze sah hoch. »Was soll das jetzt werden, Steiger?« Er zog die Stirn kraus. »Das Spiel kennen wir: Hab’ ich alles so nicht gesagt, alles falsch wiedergegeben oder aus dem Zusammenhang gerissen. Das sagen sie alle.«
»Ich habe, glaub’ ich, wörtlich gesagt: ›Habt ihr noch alle Schweine im Rennen, mich nachts wegen so einer Kacke zu wecken?‹ Und dann hab’ ich das mit dem Alter gesagt, das könnte
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