Splitter im Auge - Kriminalroman
das Kennzeichen des Autos gemerkt, es war ein Wagen aus Düsseldorf gewesen. Als sie den Halter dazu befragt hatten, konnte der durch Zeugen und eine Rechnung zweifelsfrei nachweisen, dass sein Wagen zu der Zeit in Düsseldorf in einer Werkstatt und nicht in Dortmund gewesen war, also hatten sie einen Ablesefehler angenommen, und wer falsch abliest, täuscht sich vielleicht auch bei den Personen, die in solch ein Auto einsteigen. Dabei hatte der Zeuge eine ungewöhnliche Begründung geliefert, weshalb er sich das Kennzeichen gemerkt hatte, denn die Buchstaben seien nicht nur die Initialen seines Namens gewesen, sondern die Ziffern wären auch noch mit seinem Geburtsjahr identisch. Er hieß Daouda Bamogo und war 1982 geboren. Eigentlich irrte man sich bei solchen Sachen nicht, fand Steiger.
Er stieg in seinen Wagen, die Uhr zeigte ihm, dass er die letzte Stunde der Sportschau noch sehen konnte, und er dachte an das Derby morgen auf Schalke, für das er eine Karte hatte.
Heute Abend würde er es bei Eva versuchen.
24
1982
Es war ein Sommer so warm wie seit Jahren nicht mehr. So warm, dass selbst Georg, der Fahrer, oft seine Jacke auszog, die dunkle Krawatte lockerte und nur mit Weste und Hemd bekleidet seiner Arbeit nachging. Ständig sagte er, es sei der wärmste Sommer seines Lebens, dabei wischte er sich meist mit einem Stofftaschentuch die Stirn ab, was bei einem so hageren Menschen unpassend aussah. Nur wenn er Albert Trampe fuhr, war er wieder korrekt gekleidet.
In diesem Sommer wechselte Robert Trampe von der Grundschule zum Gymnasium. Für die Brüder war das die Chance, sich von nun an auch wieder am Morgen sehen zu können.
Am ersten Tag hatte Robert mit neuem Schulranzen neben seiner Mutter in der Aula der Schule gesessen und war von der Direktorin und anderen Lehrern begrüßt worden, die so viel lachten und von Freude sprachen wie sonst im ganzen Jahr nicht. Sein Vater war nicht dabei, aber das war so normal wie bei den meisten seiner Mitschüler, nur hatte es bei ihm einen anderen Grund.
Robert war an dem Morgen nicht aufgeregt gewesen und schon gar nicht ängstlich. Er vermutete, dass die Dinge, die dort auf ihn zukamen, kein Problem darstellten, wenn es mit dem vergleichbar war, was er in den letzten vier Jahren erlebt hatte, ebenso wenig wie die vielen neuen Mitschüler. Es würde eine Zeit brauchen, bis sie begriffen, dass er nicht mit ihnen rumtobte, keine Bilder von Fußballern oder Autos tauschte und auch zu keinem ihrer Kindergeburtstage kommen würde, aber irgendwann kapierten sie es.
Auch die Sache mit den Kopfreisen, so nannte er es selbst, machte ihm keine Sorgen und würde sich genauso einspielen wie in der Grundschule. Denn wenn es ihm zu langweilig wurde oder eine Sache ihn nicht interessierte, verließ er den Raum. Nicht, dass er aufstand und tatsächlich ging, so etwas tat er nie. Seiner Mutter wurde bei jedem Elternsprechtag gesagt, dass er ein ruhiges Kind sei, vielleicht ein wenig zu ruhig in manchen Situationen, aber er störe wirklich nie. Und wenn er manchmal abwesend scheine, sei das bei den Leistungen wohl kein Problem für ihn. Nein, Robert reiste innerlich. Er verließ den Raum und war in diesem Augenblick woanders.
Robert hatte sich daran gewöhnt, dass in seinem Kopf manchmal eigenartige Dinge vor sich gingen, seit die Sache mit seinem Bruder zum ersten Mal passiert war. Er hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen, aber etwas sagte ihm, dass es nicht in Ordnung war, dass es anders war als bei anderen. Die Stimme kam jetzt öfter und auch in Momenten und Situationen, in denen er sie früher nicht gehört hatte und an denen er selbst gar nicht beteiligt war.
Nicht lange nach dem Schulwechsel stand er in einer großen Pause oben auf dem langen Flur der Schule und sah durch das Fenster den anderen auf dem Schulhof zu. Das Gewimmel und Gerenne dort unten hasste er, und manchmal gelang es ihm, sich auf der Toilette zu verstecken, bis alle Lehrer und Schüler verschwunden waren, dann kam er wieder heraus. Schon gleich am Anfang hatte er den Platz am Fenster hinter einer Säule entdeckt, die ihn auch vor Blicken schützte, wenn noch Nachzügler ins Lehrerzimmer gingen, die ihn sonst nach draußen geschickt hätten. An diesem Morgen stand er wieder hinter der Säule und fand Maximilian in dem Gewusel, der mit anderen irgendetwas spielte und durch die Menge rannte. Dabei stieß Max einen größeren Jungen so heftig an, dass beide umfielen. Der größere stand auf und
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