Splitter im Auge - Kriminalroman
konnte in ihr nicht mehr das Mädchen finden, was ihm schon häufiger bei Frauen aufgefallen war. Vielleicht waren Frauen wirklich die erwachseneren Wesen. Als er die Truppe so vor sich sah, wie Krone die Tränen liefen und Bulthaup sich auf die Schenkel klopfte, war er sich nicht sicher, ob das ein Vorteil war.
Danach zeigte Bulthaup noch ein Video, bei dem ein Mann von einem Bagger hundert Meter in die Luft geschleudert wurde und dann einen Fallschirm zog. Was für ein Blödsinn, dachte Steiger, aber es war so gut gemacht, dass man es für Realität hielt.
Jana stand plötzlich an seiner Seite, sah ihn mit gespielter Herablassung an, und da sie mit allem bepackt war, was man in den kommenden acht Stunden Dienst brauchen würde, war die Botschaft eindeutig.
»Da bist du ja endlich, ich such’ dich seit Stunden«, sagte Steiger und folgte ihr.
Sie machte ein zischendes Geräusch.
Am späten Nachmittag sollten sie möglicherweise die Leute vom Einbruch bei einer Durchsuchung unterstützen, aber das war noch nicht klar und hing davon ab, ob die einen Täter zu fassen bekamen. Bis dahin wollten sie zwei Haftbefehle vollstrecken, den ersten in einer Siedlung in Dortmund-Hombruch.
»Wie findest du eigentlich das Wetter heute?«, fragte er mit geschlossenen Augen, weil ihm die Sonne von der Seite ins Gesicht schien.
Jana fuhr wie üblich. »Ist doch toll, für September.«
»Und du bist jetzt ganz wild darauf, an so einem Tag einen Mann, der gegenüber seiner wahrscheinlich bescheuerten Gattin der Unterhaltspflicht nicht nachgekommen ist und die Geldstrafe nicht bezahlt hat, festzunehmen?«
»Ja, will ich. Das ist unser Job. Außerdem ist die Gattin wahrscheinlich eine nette, verantwortungsbewusste Frau.«
»Ich meine, du möchtest das sofort tun, jetzt?«
»Steiger, was willst du?« Es sollte wohl ungeduldig klingen, aber er hörte das Lachen in ihrer Stimme.
»Weißt du eigentlich, wie Pistazieneis schmeckt?«, fragte er nach einer Weile. »Ich geb’ auch eins aus. Meinetwegen auch Erdbeer oder was du sonst willst«, schickte er hinterher, als sie nichts sagte.
»Jetzt, im Dienst?« Der Einwand klang nicht besonders energisch, fand er.
»Das Leben ist kurz, Jana, lass dir das von einem durch dreißig Jahre Dienst am Fließband des Grauens gestählten Kollegen sagen, und ich denke, unser Dienstherr würde es verstehen, wenn er davon wüsste.«
»Sag mal, was ist eigentlich los mit dir, Steiger, ich kenn’ dich gar nicht wieder. Erst geierst du dich über einen der blöden Filme weg, über die du sonst nur rumätzt …«
»Ich hab’ nicht gegeiert, niemals.«
»Na, dann hättest du dich mal sehen sollen, dann hast du heute schon mindestens zwei Scherze gemacht, und jetzt willst du den schönen Tag nutzen und ein Eis essen? Ist irgendwas passiert? Im Lotto gewonnen?«
»Typisch«, sagte er mit immer noch geschlossenen Augen, »die Jugend denkt immer sofort an Kohle.« Er setzte sich aufrecht hin und versuchte, sie freundlich anzusehen. »Ganz im Ernst, ich lad’ dich ein. Hier in der Nähe ist eine sehr gute Eisdiele, und im Rombergpark gibt es ein paar schöne Plätze. Und das Leben ist wirklich kurz.«
Eine halbe Stunde und jeweils drei Eiskugeln später standen sie in einer Siedlung in Dortmund-Hombruch und warteten, dass ihr Klient noch kam. Sie hatten ermittelt, welchen Wagen er fuhr, aber der alte Ford war nicht vor dem Haus der Schwester, wo er angeblich wohnte. Eine Nachbarin von gegenüber wusste zu berichten, dass er meistens gegen ein Uhr kam. Jetzt war es zwölf Uhr fünfundfünfzig.
»Darf ich dich was fragen?«, sagte Jana, nachdem beide ein paar Minuten geschwiegen hatten.
»Nur zu.«
»Was war gestern eigentlich los?«
»Was soll los gewesen sein?«
»Peter Schulze war vorhin da, bevor du kamst, und ich habe nur am Rande deinen Namen gehört, als er mit Gisa sprach. Es klang nicht so, als ob er dich für eine Belobigung vorschlagen wollte. »
Steiger erzählte ihr die Kurzform. »Was wollte Schulze denn schon wieder?«, fragte er, als er fertig war.
»Ich glaube, es ging auch darum, dass der Täter, wie hieß der noch …?
»Yameogo.«
»Ja, genau, der hat gestern einen Suizidversuch in seiner Zelle unternommen.«
In diesem Augenblick rollte der Ford auf die Einfahrt, und Jana wollte aussteigen.
»Was?« Steiger fuhr hoch und hatte das Gefühl, als habe ihn jemand geschlagen. »Warte«, sagte er mechanisch, aber Jana war schon draußen. Sie blieb auf halbem Wege stehen,
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