Splitter
Aluminiumcounter, hinter dem eine junge Frau in einer Art Uniform auf Besucher wartete. Sie unterhielt sich mit einem weißhaarigen Mann, der vor dem Tresen stand und sich an einer Tasse Kaffee festzuhalten schien. Klassische Musik sorgte für einen angenehmen Klangteppich.
»Das ist nun aber wirklich nicht Ihre Aufgabe, Herr Professor«, hörte Marc die junge Frau sagen, während er sich langsam Emma näherte. Sie war auf der Hälfte des Weges, etwa zehn Meter vor dem Empfang, stehen geblieben und sah nach oben. Wie schon die Klinik selbst, so war auch die Lobby ein Musterbeispiel für die Verschwendung von Raum und Energie. Das Atrium reichte bis zur dritten Etage, erst dort begannen die Bürofluchten. Die gläsernen Wände erzeugten den Eindruck, als stehe man in dem Aquarium eines Riesen, der das Wasser abgelassen hatte. Jeder Schritt hallte von den Decken-und Wandflächen wie in einer Kirche wider.
»Das Ding spinnt immer mal wieder, gestern kamen wir nicht mal ins Internet«, flötete die Empfangsdame weiter und deutete auf den Computermonitor. Weder sie noch ihr Gesprächspartner hatten bislang Notiz von ihnen genommen.
»Wir müssen hier weg«, flüsterte Marc und griff nach Emmas Hand. Sie fühlte sich kalt an und feucht. »Ich habe es dir doch gesagt. Sie ist da. Die Klinik ist nicht verschwunden. »
Emma war viel zu aufgeregt, um die Stimme zu senken. »Sie haben dir eine falsche Adresse genannt, Marc. Sie wollten dich zu der Baugrube locken. Genau darüber haben sie damals diskutiert, als ich sie belauscht habe.«
Sie wurde immer lauter, und das erregte schließlich die Aufmerksamkeit der Blondine hinter dem Tresen. »Kann ich etwas für Sie tun?«, flötete sie. Auch der Weißhaarige drehte sich um. In seinem Blick lag ein leichter Ärger darüber, beim Flirten mit der vierzig Jahre jüngeren Blondine gestört worden zu sein. Doch der Unmut hielt nur so lange an, wie die Kaffeetasse benötigte, um ihm aus den Händen zu gleiten und auf dem Marmorboden zu zerschellen.
»Gott sei Dank«, rief er atemlos und klang dabei erstaunt und erleichtert zugleich. Dann griff er zu seinem Handy. »Frau Ludwig ist wieder da. Ich wiederhole, Frau Ludwig ist … »
Marc zog jetzt immer heftiger an Emmas Hand, aber sie schien mit dem Boden verwachsen zu sein. Er konnte sie nicht einen Millimeter in seine Richtung bewegen.
Zurück zum Ausgang. Raus. Aus der Klinik.
Während er kostbare Sekunden verlor, war der Weißhaarige bereits zu ihnen herübergekommen. Er schnaufte beim Atmen, als hätte schon der kurze Spurt vom Counter bis hierher seine Kraftreserven verbraucht. Als Zeichen seines guten Willens hob er beide Arme.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte er. Emmas Augen füllten sich mit Tränen.
»Sie erinnern sich ?«, fragte sie ängstlich.
Der Mann stand jetzt nur noch zwei Schritte entfernt, und Marc hatte ihre Hand losgelassen, um im Notfall alleine zurückweichen zu können.
»Aber natürlich«, antwortete der Alte. »Wir haben Sie überall gesucht.«
Und dann ging alles blitzschnell. Aus dem Fahrstuhl schräg rechts hinter ihnen stürmten drei Pfleger, noch ehe sich die Aluminiumtüren ganz geöffnet hatten. Diesmal war Emma zu perplex, um Gegenwehr zu leisten. Innerhalb weniger Sekunden hatten sie sie zu Boden gedrückt und ihre Hände hinter dem Rücken fixiert. Einen Herzschlag später war sie mit einer Spritze ruhiggestellt.
Marc hatte keine Chance, ihr zu helfen, und fragte sich, weshalb sie ihn bislang verschonten, warum sie ihn als stillen Beobachter hier in der Empfangshalle der Klinik duldeten und wann er ihr Schicksal teilen sollte.
Er zuckte zurück, als rechts neben ihm ein Schatten auftauchte. Dann erkannte er den Weißhaarigen, der etwas tat, womit sein auf Flucht programmiertes Gehirn am wenigsten gerechnet hatte. Der Mann streckte ihm die Hand entgegen und bedankte sich. »Sie haben uns sehr geholfen und eine Menge Ärger erspart. Es ist ein wahrer Segen, dass Sie sie wieder zurückgebracht haben.«
»Zurück?«
Marc sah den Pflegern hinterher, die Emma in einen Rollstuhl gesetzt hatten und sie in den Fahrstuhl schoben.
»Ich hoffe, sie hat Ihnen keine zu großen Schwierigkeiten bereitet ?«
»Schwierigkeiten?«, echote Marc schon wieder. Draußen hörte er ein Auto hupen, doch es kam ihm vor wie ein Signal aus einem anderen Universum. »Erst gestern hat sie zwei unserer Krankenpfleger schwer verletzt, als sie sie auf offener Straße aufgreifen wollten. Sie neigt zur Gewalt, wenn sie
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