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Splitter

Splitter

Titel: Splitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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musste er sogar noch einmal in die Neuroradiologie zum Kernspin.
    Am meisten Zeit hatten die ausgeklügelten psychologischen Fragen in Anspruch genommen. Anders als bei den Tests in Frauenzeitschriften, die Sandra so geliebt hatte, hatte Marc hier keinen blassen Schimmer gehabt, worauf die scheinbar harmlosen Fragen wirklich abzielten.
    Wenn Sie die Wahl hätten, würden Sie lieber auf ein Auge oder auf Ihren Geruchssinn verzichten? Träumen Sie öfter in Farbe oder in Schwarzweiß? Ergänzen Sie den folgenden Satz: »Ich bin für die Todesstrafe, wenn … »
    Marc war so erschöpft, dass er sich an seine Antworten schon jetzt nicht mehr erinnern konnte. Zudem schmerzten die Gelenke bei jedem Schritt, und er dachte nur noch an die Schlaftablette und an das wärmende Bad, das er gleich nehmen würde. So in Gedanken verloren, war es kein Wunder, dass er die dunkle Gestalt übersah, die neben dem Hauseingang kauerte, wo sie schon geraume Zeit auf ihn gewartet hatte.
12. Kapitel
    Leana Schmidt?« Er wiederholte den Namen, mit dem sie sich schon einmal vorgestellt hatte. Heute, vor wenigen Stunden, unmittelbar nach Julias Selbstmordversuch im Freibad Neukölln. Ihr Haar wirkte immer noch, als wäre es von einem Bügeleisen nach hinten geplättet worden, und Marc vermutete einen nüchternen, hellgrauen Hosenanzug unter ihrem hochgeschlossenen Trenchcoat. Das Einzige, was ihre Aufmachung etwas auflockerte, war die prall gefüllte Plastiktüte eines Billigdiscounters in ihrer Hand, aus der mehrere »Fraueneinkäufe« herausquollen, Dinge, die Männer im Laden grundsätzlich ignorieren, wie ein Bund Radieschen oder eine Stange Sellerie. Sandra und er hatten sich früher oft über ihr unterschiedliches Einkaufsverhalten lustig gemacht. Während sie im Supermarkt den Wagen mit Obst, Magerquark, Weichspüler und Petersilie füllte, stand er vor den Aktionsregalen, in denen sich CD-Rohlinge, Akkuschrauber oder Kartoffelchipstüten stapelten. »Wie zum Teufel haben Sie mich hier gefunden?« Die schlanke Frau setzte ihre Einkäufe ab und massierte sich mit klammen Fingern die Stelle, an der die Tüte in das Handgelenk geschnitten hatte. »Ich war in Ihrem Büro. Dort hat man mir die Adresse gegeben.«
    Ihre Stimme klang forsch, fast als erwarte sie eine Entschuldigung dafür, dass er sie so lange hatte warten lassen. »Und was wollen Sie von mir?«
    »Ich bin … ich war Krankenschwester auf der Station Ihres Bruders.«
    »Und?«
    Er kramte seinen Haustürschlüssel hervor, den er allerdings nicht benutzen musste. Die Hausordnung, die man ihm beim Einzug ausgehändigt hatte, ermahnte die Mieter zwar, das Tor zur Straße nach zwanzig Uhr zu verschließen, aber daran hielt man sich hier ebenso wenig wie an das Verbot, Glasflaschen in den Hausmüll zu schmeißen.
    »Ich mache mir Sorgen um Benny«, sagte sie bestimmt, und Marc gewann eine ganz gute Vorstellung davon, wie diese resolute Person mit ihren Patienten umging. Ihr Tonfall wirkte professionell, ohne einschüchternd zu sein. Genau die richtige Mischung, um sich nicht bevormundet zu fühlen, aber autoritär genug, um nicht jede Anweisung in Frage zu stellen. Vermutlich war Leana keine einfache Angestellte, sondern die Oberschwester in ihrer Abteilung oder zumindest auf dem Weg dorthin.
    Er ging in den Hauseingang, und das automatische Flurlicht sprang an. Sie griff sich wieder die Tüte und folgte ihm.
    »Er hat mir gesagt, Sie haben ihm schon einmal das Leben gerettet.«
    »Ach ja?«, entgegnete Marc knapp.
    Tatsächlich hatte er Benny vor anderthalb Jahren mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne gefunden.
    Normalerweise trafen sie sich nur einmal im Jahr, zu Weihnachten am Grab ihrer Eltern. Doch an jenem Morgen hatte sein Handy drei Anrufe in Abwesenheit angezeigt, und auf seiner Mailbox befand sich eine kaum verständliche, von zerhackten Störgeräuschen überlagerte Stimme, die wie die seines Bruders klang. Nachdem Benny auf seine Rückrufe nicht reagiert hatte, war Marc damals einem spontanen Impuls gefolgt und zu ihm gefahren. Dort war ihm drastisch vor Augen geführt worden, dass die Nachricht auf seinem Anrufbeantworter ein Abschiedsgruß gewesen war.
    »Ich bin der Meinung, Sie hätten Ihre Aussage nicht zurücknehmen dürfen.« Sie blinzelte erneut. »Vor den Richtern, den Ärzten, meine ich.«
    Marc begriff immer noch nicht, worauf die merkwürdige Unterhaltung hinauslaufen sollte. Als er damals die Feuerwehr rief, um Bennys Leben zu retten, hatte er einen

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