Splitter
alten Trick angewandt, der stets dazu führte, dass ein Selbstmordkandidat sofort unter psychiatrische Aufsicht gestellt wurde. Er hatte behauptet, Benny hätte vor seinem gescheiterten Suizid auch ihn umbringen wollen, womit er zu einer Gefahr für die Allgemeinheit wurde. Zudem lag damit eine Straftat vor. Da Benny schon mehrere aktenkundige Selbstmordversuche hinter sich hatte, rechtfertigte die Gesamtschau der Umstände eine vorläufige Zwangsunterbringung in einer geschlossenen Anstalt. Marcs Lüge sollte den Zweck heiligen und seinen Bruder von der Straße holen, raus aus einem Umfeld, das ihn ganz offensichtlich immer tiefer in den Abgrund zog. Außerdem würde Benny in der Psychiatrie nicht so leicht an einen Gürtel oder eine Rasierklinge kommen und wäre endlich von Valka isoliert. »Hören Sie, mein Bedarf an Selbstmordgeschichten für heute ist wirklich gedeckt«, sagte er, während er seinen Briefkasten öffnen wollte, doch irgend ein Vandale musste das Schloss mit einem Schraubenzieher verbogen haben. Auch das noch. Der Schlüssel passte nicht mehr hinein, und so blieb der im Schlitz steckende Möbelprospekt die einzige Post, an die er herankam.
»Wenn Sie also nichts dagegen haben, würde ich jetzt gerne Feierabend machen und … »
»Ihr Bruder hat sich plötzlich so verändert«, unterbrach sie ihn. »Von einem Tag auf den anderen.« Sie hielt ihn am Ärmel fest, und er wollte sich schon losreißen, als das Licht erlosch. Das Intervall der Zeitschaltuhr war abgelaufen, und da der veraltete Schalter hier unten nicht wie sonst üblich mit Leuchtdioden ausgestattet war, dauerte es eine Weile, bis Marc sich zu ihm vorgetastet hatte. Als es endlich wieder hell wurde, fühlte er sich am Ende seiner Kräfte und sah sich nicht imstande, das Gespräch mit dieser merkwürdigen Krankenschwester abzubrechen. »Natürlich hat Benny sich verändert, er war schließlich in der Klapse«, setzte er an.
»Davon rede ich nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »All die Monate lang hat er sich gehen lassen. Wollte sich nicht rasieren, nicht essen, lag nächtelang wach. Er weigerte sich oft, sein Zimmer zu verlassen, wurde richtiggehend gewalttätig, wenn man ihn dazu aufforderte.«
Marc nickte resigniert. Das war nichts Neues für ihn. Aus diesem Grund hatten die Ärzte Benny ja auch keine gute Prognose ausgestellt, und so war aus der vorläufigen eine langfristige Unterbringung geworden. »Aber von einem Tag auf den anderen«, Leana kniff die Augen zusammen, wodurch ihr Blick noch intensiver wurde, « … etwa einen Monat vor der Überprüfung, war er plötzlich wie ausgewechselt. Er verlangte nach Obst und Vitaminsäften, joggte unter Aufsicht durch den Park und las die Bibel.«
»Die Bibel?«
Das klang wirklich nicht nach seinem kleinen Bruder. »Ich bin mir nicht sicher, ob es etwas zu bedeuten hat … », fuhr sie fort, »… aber Bennys Verhalten änderte sich an dem Tag nach einer Kernspinuntersuchung.« Kernspin? Hatte Bennys psychische Störung etwa eine organische Ursache?
»Und auch das ist merkwürdig. Normalerweise durchleuchten wir das Gehirn nach Anomalien, aber bei Benny wurde nur der Unterleib gescannt. Obwohl er nie über Beschwerden geklagt hatte. Ich habe mir die Bilder besorgt.«
»Und?«
»Nichts. Er ist vollkommen gesund.«
»Sie sind keine Ärztin, Leana.«
»Aber ich habe Augen im Kopf. Und ich habe mitbekommen, wie Benny seit dieser Untersuchung mehrfach versucht hat, seine Medikamente auszuspucken. Als ich ihn darauf angesprochen habe, hat er gesagt, er wolle kein Gift mehr in seinen Körper lassen.«
Marc drehte sich zu ihr herum und ging einen Schritt auf sie zu. »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
»Ich glaube, er hat dem Untersuchungsausschuss etwas vorgespielt. »
»Wieso sollte er das tun? Er wusste, dass ich meine Aussage zurücknehme.«
Nachdem die Tragödie sein Leben zerrissen und der Unfall ihm das genommen hatte, was er am meisten liebte, war Marc alles gleich gewesen. Constantin hatte nicht viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um ihn dazu zu bewegen, die Falschaussage zu korrigieren, mit der er seinen Bruder in die psychiatrische Zwangsunterbringung gebracht hatte, auch wenn ihm damit nun selbst ein Strafverfahren bevorstand. »Hol deinen Bruder da raus«, hatte sein Schwiegervater ihm geraten. »Du brauchst ihn. Er ist der einzige lebende Verwandte, der dir jetzt noch bleibt.«
Hatte er sich bis zu Sand ras Tod noch täglich Gedanken und Sorgen um seinen
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