Splitternest
mir das nicht länger an!« Er drängte sich an den Troubliniern vorbei und wollte zur Treppe eilen.
»Bleibt, wo Ihr seid, Stolling!« Aelarian Trurac riss ihn an der Schulter zurück. »Diese Besucher könnt Ihr nicht fortscheuchen wie ein paar betrunkene Fischer.«
Aus den Fenstern der Roten Kordel stiegen mehrere Gestalten. Sie halfen sich gegenseitig über die Simse hinweg. Ihre Haare waren verfilzt, die Kleider starrten vor Schmutz. Auf den Stirnen prangten Zeichen, die aus der Entfernung nicht zu erkennen waren. Einige von ihnen eilten zur Frontseite der Kneipe und rüttelten an der Tür.
»Ulimans Gefolge«, wisperte Cornbrunn.
Das Schloss gab nach. Krachend schwang die Tür auf.
Ein Kind trat aus der Kneipe; ein Junge mit blonden Locken, nackt, sein Körper bleich und dürr. Er hatte den Kopf gesenkt; eigenartig schwebte er über dem Körper, zu weit entfernt von den Schultern. Die hellen Haare verdeckten sein Gesicht. Die Arme hatte er hinter dem Rücken gefaltet. Er wankte über die Schwelle zum Rand des Felsens und blieb unweit der Treppe stehen.
»Uliman«, stieß Aelarian hervor. »Er ist es tatsächlich.«
Stolling rümpfte die Nase. »Vor diesem Bengel fürchtet ihr euch? Selbst Ungeld jagt mir mehr Angst ein.«
In diesem Augenblick riss Uliman die Arme nach vorn. Doch es waren keine menschlichen Glieder, es waren Flügel … schwarzes, dichtes Gefieder. Der Wind strich über sie hinweg. Sie zitterten, zeichneten die Luftströme nach. Dann hob Uliman den Kopf. Er war mit seinem Körper durch einen langen Hals verbunden, biegsam, kahl. Der Mund öffnete sich. Ein Ruf war zu hören; ein Fauchen.
»Was hast du diesem armen Jungen angetan, Rumos?« flüsterte Aelarian. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
Der Wind brauste wild. Nun löste sich aus dem Gefieder eine Art Nebel, nur zäher und pechschwarz wie die Federn selbst. Wie Öl oder geschmolzenes Wachs rann Schwärze herab, mischte sich mit der Luft, bildete Wirbel, zerrann zu Fäden, die dem Wind folgten, sich träge verteilten wie Tinte im Wasser. Die Schwärze färbte die Luft, waberte über den Felsen, tropfte in Schlieren herab, bildete phantastische Formen, die sich über dem Felsen entfalteten wie ein dunkles, lichtloses Tuch … undurchdringliche Schwärze, erdrückend und finsterer als die Schatten des Verlieses, furchteinflößender als Aldras Scherenschnitte. Schon erreichte sie den Himmel und küsste die Wolken, füllte sie mit zähflüssiger Düsternis. Und wieder fauchte der Junge, bewegte die Flügel. Neue Schwärze perlte zwischen den Kielen hervor, kräuselte sich um ihn und sein Gefolge, um den Felsen, um die steinerne Kneipe; zuckende Schwärze, rinnende, fließende, kriechende Schwärze, die mit rußigen Fingern in alle Winkel der Welt tastete, sich mit der Luft paarte, mit den Wolken, den Steinen, und alles schwärzte als unauslöschlicher Stempel, der nichts neben sich duldete – kein Licht und keine Farben.
»Der Hauch von Nekon.« Es war Cornbrunn, der die Worte hervorstieß. Gebannt folgten seine Augen den dunklen Schwaden. »Er hat den Fluch entfesselt! Warum will er diese Welt vernichten?« Ein Husten schüttelte ihn.
»Weil er dazu gezwungen wird«, sagte der Großmerkant. »Rumos’ Geist wirkt in ihm. Der Hauch von Nekon soll alle ersticken, die nicht der Bathaquar folgen.« Er befreite seine Hand aus Cornbrunns Griff. »Ich muss zu ihm gehen. Ich war Ulimans Lehrer. Er vertraut mir.«
»Nein … geht … nicht.« Cornbrunn keuchte; das Sprechen bereitete ihm Mühe. »Der Hauch … tötet Euch … lasst uns fliehen … zum Leuchtturm. Dort sind wir … sicher!« Hilfesuchend sah er sich nach Stolling um.
»Ja, auf Fareghi sind wir sicher«, murmelte der Gastwirt. Ihm schien der Hauch wenig auszumachen, aber das Entsetzen war auch auf seinem Gesicht zu erkennen.
»Ich kann nicht einfach weglaufen«, bekräftigte Aelarian. Er beobachtete den Hauch, der bis zur Hälfte der Treppe vorgedrungen war; ein schwarzer Wasserfall, der lautlos vom Felsen herabstürzte. »Mondschlunds Magie wird mir helfen, dem Fluch standzuhalten. Der Hauch von Nekon breitet sich langsam aus, er wird erst die Sphäre überfluten und danach in die Welt dringen, an jeden Ort, wo die Bathaquar ihre Feinde vermutet.« Entschlossen wandte er sich Cornbrunn zu. »Ich muss zu ihm hinaufgehen. Mir bleibt keine andere Wahl.«
Der Leibdiener hustete. Blut glänzte auf seinen Lippen. »Wer … bin ich schon … dass ich Euch aufhalte …
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