Splitterseelen
Um sich gegen eine Opferung zu entscheiden war es bereits zu spät. Jason befand sich bereits in seiner Welt und war schon zu tief in all diese Verwicklungen der Machtspielchen zwischen Dämonen und Spiegelweltlern verstrickt, dass es kein Zurück mehr gab. Er ließ den Seelenstein los und griff stattdessen in seine Tasche, wo er Jasons Foto stecken hatte. Seine Finger strichen über das Kunstdruckpapier, als hätten sie Jasons Wange vor sich, ohne dass er das Bild hervorzog. Es wäre ja noch schöner, wenn er sich mit seinen sentimentalen Anwandlungen vor den Kriegern lächerlich machte.
Calael schreckte auf, als einer seiner Männer auf etwas vor ihnen feuerte. Etwas, das wie eine grasbewachsene Decke ausschaute, krümmte sich in Zuckungen auf dem Boden. Es war ein Nalag, dem sie beinahe in die Fänge geraten waren. Diese sehr flachen Tiere konnten sich perfekt an den Erdboden anpassen, bildeten sogar Auswüchse, die Blumen und Gräsern der Umgebung ähnelten. Wenn man ihnen zu nahe kam, dann sprangen sie ihrer Beute mit aufgerissenen Rachen unversehens entgegen. Hatten sie sich erst einmal festgebissen, gab es kein Entkommen mehr. Ein ausgewachsener Nalag hatte keine Feinde. Er konnte problemlos mit allem fertig werden, was sich unbedarft in seine Reichweite begab. Dieser sterbende Lauerjäger vor ihnen hatte bestimmt auf eines der Shadschafe gewartet, dessen Herde Calael und seine Krieger bereits seit einer ganzen Weile wachsam beobachtete. Zum Glück war ihr Nachwuchs soweit herangewachsen, dass die Tiere nicht mehr ganz so aggressiv waren und sie ohne Angriffe vorbeimarschieren ließen. Das letzte, was Calael brauchte, war eine unrühmliche Flucht vor ein paar wolligen Dingern mit einem dämlichen Gesicht und blutunterlaufenden Augen, die ihn in den Grund stampfen wollten.
Nun nickte er dem aufmerksamen Krieger lobend zu und schlug um den verendenden Nalag einen respektvollen Bogen. Im Sterben nahm der Nalag seine eigentliche Gestalt an und wirkte jetzt wie eine große Ölpfütze, aus der sich an den verschiedensten Stellen dünne Tentakel dem Himmel entgegenreckten.
Und diesen Gefahren setzt Mijo meinen Seelenzwilling aus. Ich könnte ihn mit bloßen Händen erwürgen!
Tröstlich war auf jeden Fall, dass er Jason über den Seelenstein spüren konnte und sich daher sicher war, dass es ihm im Augenblick gut ging. Weniger tröstlich war, dass er ihnen weiterhin ein gutes Stück voraus war. Wer hätte aber auch gedacht, dass Mijo ihn noch in der Nacht weiterschleppte und ihm nicht einmal die Gelegenheit zum Ausruhen gab. Wenigstens würden die beiden bei dem Tempo nicht mehr weit kommen.
Wie aus dem Boden gewachsen standen plötzlich drei Männer vor ihnen. Sie hatten Sturmgewehre in den Händen und bewegten sich ähnlich wie Mijo. Dämonen! Ob das besser oder schlechter war als von Spiegelweltlern geschnappt zu werden, konnte Jason beim besten Willen nicht entscheiden.
„Sieh an, sieh an, wen haben wir denn da?“, flötete ein Typ mit karottenroten Haaren und einer unangenehmen Visage. „Wenn das mal nicht unser Mijo mit seinem neusten Toy Boy ist!“
„Erken!“
Zu Jasons Überraschung strahlte Mijo wie ein Tannenbaum unter voller Beleuchtung zu Weihnachten. Und offenbar lag die Überraschung nicht nur auf seiner Seite. Auch dieser Karottenkopf und dessen Freunde starrten Mijo verblüfft an. Der breitete die Arme aus und fiel Erken um den Hals, ohne das Sturmgewehr in dessen Händen zu beachten. Waren die drei also doch Verbündete? Irgendwie kam Jason nicht mehr mit, wer Freund und wer Feind war.
„Was bin ich froh euch hier zu sehen! Ihr habt ja keine Ahnung, wie sehr wir darauf gehofft haben, jemanden aus Oiko-City zu treffen.“
Jason runzelte die Stirn. Hatten sie? Eigentlich hatte Mijo ihm erklärt, dass sie sich weder von Dämonen noch Calaels Leuten schnappen lassen dürften. Oder war er selbst mittlerweile geistig umnachtet, dass er nichts mehr verstand? Dieser Erken und seine Kumpane schauten jedenfalls ziemlich verwirrt drein.
„Was für ein Glücksgriff, dass das Tribunal ausgerechnet euch drei geschickt hat“, sabbelte Mijo ungebremst weiter und drückte dem starren Erken Küsschen links und rechts auf die Wange, ehe er dem Dämonen plötzlich das Sturmgewehr aus der Hand riss und im nächsten Moment abfeuerte. Erkens Karottenkopf explodierte in einem Schauer aus Knochensplitter und Blut.
„Runter!“, brüllte Mijo und richtete das Sturmgewehr bereits auf Erkens zwei
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