Sprich nicht darüber
Vorstellungskraft durchaus eingesetzt, allerdings nicht in seinem Sinn. In ihrer Phantasie war Constantin als undurchsichtiger Gangster aus einem düsteren alten Schwarz-Weiß-Film aufgetreten. Und komischerweise spielte in derselben Szene Rosie mit, angetan mit einem glitzerigen, hautengen Zwanziger-Jahre-Fetzen, und sie war der einzig und alleinige Gegenstand der Begierde ihres Gangsters.
“Was ist los? Du bist ungewöhnlich schweigsam”, bemerkte Constantin misstrauisch.
“Die Umstellung”, sagte Rosie bloß.
“Wir sollten öfter verreisen”, sagte Constantin und ließ sie allein.
Während Rosie im Whirlpool lag, waren ihre zwei Gepäckstücke ausgepackt worden. Erstaunt erblickte sie ihre kleine Schmuckschatulle auf dem Frisiertisch. Nach der ersten, niederschmetternden Durchsicht der Sachen, die Maurice völlig chaotisch in ihren Koffer gestopft hatte, war sie überrascht von der zärtlichen Geste, mit der er ihr spärliches Geschmeide in den Rucksack gepackt hatte.
Rosie öffnete die Schatulle und suchte unter den Ohrringen, Ansteckern und Armreifen nach dem Teil, um das es ihr ging. Ihr Puls raste, ihr Atem stockte – der Estrada-Smaragdring war nicht da. Sofort zog sie den nahe liegendsten Schluss. Constantin hatte ihr den Ring wegnehmen wollen. Und nun war er weg. Ohne Zweifel hatte Constantin ihr das Geschenk ihres Vaters gestohlen.
Barfüßig rannte Rosie die lange, geschwungene Treppe hinunter. Constantin kam gerade aus einem Raum im Hintergrund der Halle. Zornentbrannt fuhr sie auf ihn los: “Gib mir meinen Ring zurück!”
Verblüfft fuhr Constantin herum. “Was zum Teufel …”
“Den Estrada-Ring! Er war in meinem Schmuckkästchen. Jetzt ist er weg.”
“Weg?” Constantin legte ihr schwer die Hand auf die Schulter und schob sie in den luxuriösen Empfangssalon. “Was soll das heißen?”
Rosie machte sich heftig los. “Das hätte ich dir wirklich nicht zugetraut!”
“Wenn du den Ring verloren hast”, rief Constantin aufgebracht, “erwürge ich dich!”
“Angriff ist die beste Verteidigung, wie?” gab sie spöttisch zurück. “Ich weiß genau, du hast den Ring, du hast ihn verschwinden lassen …”
“Allmächtiger … Unterstellst du mir, ich hätte ihn gestohlen?” Constantin schäumte vor Wut.
Rosie trat einen strategischen Rückzug an. “So würde ich es nicht ausdrücken. Sagen wir, du hast dir etwas zurückgeholt, das mir deiner Meinung nach nicht zustand. Aber der Ring gehört mir. Anton hat ihn mir geschenkt.”
“Ich bin kein Dieb. Wenn der Smaragd verschwunden ist, holen wir die Polizei. Aber erst will ich ganz sicher sein, dass dies nicht wieder eine Masche ist.”
“Eine Masche? Was meinst du damit?” fuhr Rosie auf.
“Ich meine”, erläuterte Constantin von oben herab, “dass ich keineswegs überrascht wäre, wenn dein Freund den Ring genommen hätte. Ich weiß ja inzwischen, dass du eine Lügnerin und Betrügerin bist und …”
“Du … du Schuft!” keuchte Rosie fassungslos.
“Und ich kann mir vorstellen, der Ring ist hoch versichert …”
In diesem Augenblick kam ein Diener und teilte Constantin etwas mit, während Rosie in hilfloser Wut dastand.
Über die Schulter sagte Constantin zu ihr: “Du musst mich entschuldigen. Ich habe Besuch.”
Volle drei Minuten lang blieb Rosie wie erstarrt stehen. Wie konnte Constantin diese Angelegenheit so achtlos behandeln? Entweder glaubte er nicht ernsthaft, dass der Ring weg war, oder er schauspielerte perfekt.
Ihr Blick fiel auf den Telefonapparat. Das Gerät erschien ihr wie ein Rettungsanker. Aber sie kannte die Vorwahl für England nicht. Sie suchte überall, fand jedoch kein Telefonbuch. Verflixt, sie wusste nicht einmal die Nummer der Auskunft in Griechenland. Es war zum Heulen.
Frustriert verließ Rosie den Raum. In der Halle zögerte sie, als sie Constantins Stimme hörte. Sein Besucher antwortete überraschenderweise auf Englisch – und es war eine Besucherin. Rosie konnte ihre Neugier nicht zügeln und schlich zu der angelehnten Tür. Sie riskierte einen Blick ins Zimmer.
“Louise”, sagte Constantin äußerst sachlich.
Auf einem Chaiselongue räkelte sich eine atemberaubend schöne dunkelhaarige Frau mit phantastisch langen Beinen. Sie betupfte sich wenig überzeugend die Augenwinkel mit einem Spitzentaschentuch.
“Aber dass ich es aus der Zeitung erfahren musste …! Ich war völlig fertig, Constantin. Wie konntest du heiraten, ohne mir etwas zu sagen? Mir gegenüber hast
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