Spring in den Himmel
hörte die Frage erst, als lautes Gelächter der Klasse sie aufschreckte und Herr Zettler seine Bemerkung wiederholte.
Sie wurde rot. Die Klassenkameraden übertrafen sich mit ihren Spekulationen.
»Von Ihnen, Herr Zettler.«
»Das würde mich wundern«, antwortete der Lehrer. Wieder Lachen.
»Von mir!«, rief Sven.
»Das würde dir so passen.«
»Hey, Jamina, das ist jetzt gar nicht nett von dir!«
»Auf jeden Fall sieht sie frisch verliebt aus«, spekulierte Luzia.
Jamina warf ihr einen bösen Blick zu, aber Sophia erwies sich als gute Freundin: »Neidisch? Tolles Gefühl, echt.«
Sophia schien zu ahnen, was mit ihr los war. Auch wenn sie ihr noch nichts von Alexander erzählt hatte.
»Aber Luzia hat recht!«, rief Merlin hinter ihr. »Jamina ist rot geworden. Ich kann's sogar von hinten sehen.«
Nur allmählich ebbte das Gelächter ab. Zettler sah Jamina fast mitfühlend an, dann versuchte er, das Thema zu wechseln.
»Reden wir doch nicht über Jaminas Privatleben, sondern über Vektoren. Wer möchte an die Tafel?«
Sieh sie nicht an, ignoriere sie, geh einfach deinen Weg, sagte Jamina sich vor, als sie aus der Schule kam und Yoyo erblickte. Vier Tage waren seit ihrem Sprung vergangen, Jamina kam es wie Wochen vor.
»Dein schwarzer Schatten ist wieder da«, stellte Sophia fest und ging weiter. Es klang fast traurig, enttäuscht. Als wollte Sophia sagen: Für die hast du Zeit und für mich nicht?
Jamina wollte schon abbiegen, aber Yoyo kam auf sie zugelaufen und hielt sie auf.
»Du bist sauer«, stellte Yoyo fest. »Weil ich mich wieder nicht gemeldet habe. Aber ich kann's dir erklären.«
Jamina rettete sich in Sarkasmus. »Musst du nicht. Wahrscheinlich ging's dir wieder so schlecht, dass du nicht mal dein Handy bedienen konntest.«
Yoyo sah sie verletzt an: »Vertraust du mir nicht mehr?«
Darauf wusste Jamina keine Antwort. Hatte sie Yoyo jemals vertraut? Ja, natürlich. Die Flucht aus der U-Bahn. Ihre Gespräche. Vor allem der Sprung in die Tiefe.
Yoyo suchte ihren Blick.
»Warum kannst du nicht wenigstens antworten, wenn ich dir eine SMS schicke?«, fragte Jamina und bemühte sich, dass ihre Stimme nicht allzu gepresst klang.
»Ging wirklich nicht. Weil …« Yoyo hatte Tränen in den Augen. »Meine Oma ist gestorben.«
Jamina zuckte zusammen. Was für eine schreckliche Nachricht!
»Also die Mutter von meinem Vater. Die hatte Krebs. Hat mir mein Erzeuger aber nicht erzählt. Muss ja Milliarden auf den Konten verschieben, da hat man für so was keine Zeit.«
»Es tut mir leid …«
»Schon gut. Du denkst bestimmt, eine SMS hätte ich ja trotzdem schreiben können …«
»Das ist jetzt nicht mehr wichtig.«
»Natürlich ist das wichtig, wenn es das Vertrauen zwischen uns kaputt macht. Deshalb will ich's dir doch erklären.«
Erst waren immer mehr Schüler aus dem Gebäudegekommen, an ihnen vorübergegangen. Jamina hatte die neugierigen Blicke ihrer Klassenkameraden bemerkt. Aber allmählich wurden es weniger und jetzt standen sie fast allein da.
Yoyo wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und zog eine Zigarette heraus.
»Meine Oma wohnte im Ruhrpott, weil sie mal in der Kur einen Typ kennengelernt hat und deshalb … ist ja auch egal. Aber es gab ein paar Jahre, da hat sie bei uns gewohnt, in der Villa von Dad. Nach dem Tod meiner Mutter. Und hat sich um mich gekümmert. Weil der Banker ja keine Zeit hatte.«
Jamina wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Yoyo zündete ihre Zigarette an, zog heftig, stieß den Rauch wütend aus.
»Und dann hat sie mich im Stich gelassen wegen diesem Kerl – wie alle anderen auch. War ihr scheißegal, was aus mir wird.« Wieder Tränen. »Aber ich hab sie doch trotzdem lieb.«
Jamina hob hilflos die Arme, wollte sie um Yoyo legen, aber die warf die Zigarette auf den Boden und trat darauf herum, als wollte sie diese töten.
»Auf jeden Fall kam mein Dad, sagte, dass Oma tot ist, ich soll was einpacken, wir fliegen nach Köln, da ist die Beerdigung. Ich hab's Handy vergessen in der Hektik und seins wollte ich auch nicht nehmen. Außerdem ist deine Nummer da ja sowieso nicht drin …«
»Alles okay, du musst dich nicht rechtfertigen.«
»Muss ich doch, wenn du wütend auf mich bist.«
»Bin ich gar nicht.«
»Warst du aber. Und ich wär's auch an deiner Stelle. Ehrlich.«
Yoyo stand ihr gegenüber, sah sie an. Sie schwieg, lächelte zaghaft. Jamina schämte sich. Sie war so wütend auf Yoyo gewesen, aber die Wut war weg wie die Luft
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