Spring in den Himmel
seine Gitarre vorsichtig weg und nahm Jaminas Hand. Sie lehnte sich an ihn, ihren Kopf an seiner Schulter, schloss die Augen und hoffte, er würde sie nichts mehr fragen, überhaupt nichts mehr sagen …
Sie spürte seine Lippen auf ihren Haaren, auf der Stirn, den Wangen, dann auf ihren Lippen. Sie legte die Arme um ihn und hoffte, dass die Zeit stehen bleiben würde.
»Lasst euch nicht stören«, hörten sie plötzlich Herrn Kamke. Schnell und verlegen löste sich Jamina. Der Moment, er war kaputt.
»Doch, du hast gestört, Opa«, sagte Alexander.
Jamina stand auf. »Ich muss sowieso wieder …«
»Moment«, sagte Alexander, packte seine Gitarre ein und gab sie ihr.
»Aber ich kann doch gar nicht spielen!«
»Probier's einfach mal aus. Wenn du einen Lehrer brauchst – ruf mich an.«Wie langweilig ihr Leben doch bisher gewesen war, dachte Jamina, als sie in ihrem Zimmer die Gitarre auspackte und an den Saiten herumzupfte. Schule, Hausaufgaben, Eltern und Rafik, Arbeit zu Hause, dann wieder Schule, dann Herr Kamke …
Wie viel sich geändert hatte, seit …
Ja genau, seit sie Yoyo kennengelernt hatte. Sie war eine andere geworden. Sie spürte es selbst. Sie wollte leben und das Leben fühlen. Alexander hatte es auch bemerkt – und nun …
Jamina strich über den Korpus der Gitarre. Waren sie nun ein Paar, war das ein Anfang, waren sie verliebt, wie würde es weitergehen? Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf.
Früher hätte sie mit Sophia darüber gesprochen, ihrer Banknachbarin in der Schule. Aber seit Wochen unternahmen sie kaum noch etwas miteinander, sahen sich nur während des Unterrichts. Irgendwie hatten sie beide weniger Zeit. Jede hatte ständig etwas vor. Kein böses Wort war gefallen – und doch hatten sie sich verändert. Früher war es aus beiden morgens nur so herausgesprudelt: Stell dir vor, was mir passiert ist … Heute spielte Sophia mit ihrem Handy oder redete mit einem von den Jungs oder schrieb noch bei jemandem die Hausaufgabe ab. Und Jamina sah zum Fenster hinaus und träumte.
Sophia verbrachte ihre Zeit zunehmend im Internet, suchte sich Freunde bei Facebook und in anderen sozialen Netzwerken und sie …
Ihr Leben war spannend geworden durch Yoyo.
Natürlich hatte Sophia das bemerkt.
»Wer ist diese dunkle Gestalt, die dich manchmal abholt?«, hatte sie gespottet. »Da heißt es immer, Internet ist so gefährlich, weil die Typen dort total schräg drauf sind und einen anlügen und einem was vormachen und man kennt sie gar nicht richtig … Aber wenn ich mir dein gothic girl ansehe, wie die da vor der Schule steht …«
Ja, Sophia hatte eine scharfe Zunge, doch bisher hat sie mich geschont, dachte Jamina. Sie wollte Sophias Ironie nicht einfach so stehen lassen.
»Immerhin ist sie real und sie gibt sich nicht als jemand anderer aus so wie deine tollen neuen Freunde im Netz.«
»Wenn das real ist … Mir kommt sie eher vor wie eine Kunstfigur mit ihren schwarzen Klamotten und ihren schwarz umrandeten Augen.«
»Deine Facebook-Typen, die können dir doch das Blaue vom Himmel runterlügen und du würdest es nicht mal merken. Echte Freunde, die trifft man in der Wirklichkeit. Denen kann man in die Augen sehen, wenn man über Probleme redet …«
»Du redest mit ihr über Probleme?«
Jamina war selbst überrascht, dass sie das gesagt hatte. Ja, sie würde mit Yoyo reden können, über Alexander, über die Schule, über die Familie. Sie war sicher, dass Yoyo ihr zuhören und sie verstehen würde.
8. Kapitel
Yoyo war mal wieder nicht zu erreichen, tagelang verschwunden. Jamina war wütend. War nicht angeblich alles anders nach dem Bungee-Sprung? Gar nichts war anders! Yoyo tauchte auf und unter, wie es ihr passte, und sie war diejenige, die warten musste oder sollte.
Jamina konnte sich in der Schule nicht konzentrieren. Von wegen, miteinander verbunden. Gar nichts war! Und wenn Yoyo ihr noch einmal käme mit so einer Geschichte wie ›Ich war traurig …‹. Trotzdem konnte man sich doch melden, verdammt noch mal!
Jamina zog heimlich ihr Handy heraus. Wieder keine Nachricht von Yoyo. Dafür aber ein lieber Gruß von Alexander. Wie ging es ihr? Und seiner Gitarre?
Sophia schielte herüber, sah auf das Display und lächelte verständnisvoll. Das Gefühl kennt sie nur zu gut, dachte Jamina, lächelte zurück, steckte das Handy weg und sah gedankenverloren aus dem Fenster.
»Wovon träumt Yamina wohl, wenn sie diesen Blick hat?«, fragte der Mathelehrer und Jamina
Weitere Kostenlose Bücher