Spur ins Eis
Information wird Ihnen niemand anderer geben können, und das ist der Preis. Das kostet es. Also, reißen Sie sich zusammen.«
»Ich habe so etwas noch nie getan, und ich kann es nicht riskieren, ins Gefängnis zu gehen.«
»Sie müssen doch sowieso ins Gefängnis für den Mord an Ihrer Frau.«
»Was soll das werden ? Erpressung ?«
»Ich täte es ungern, aber wenn es sein muss, bringe ich Sie hinter Gitter, Will. Vielleicht wende ich mich ans FBI . Vielleicht interessieren Sie sich ja auch für den Fall meiner Schwester. Sie brauchen nicht zu glauben, dass ich dazu nicht fähig wäre, Will, wenn Sie meinen Zugriff auf Javier gefährden.« Will starrte einem vorbeifahrenden Auto nach. Der Asphalt flirrte vor Hitze. »Ich habe Sie an den Eiern, Will. Ein anderes Spiel gibt es nicht.«
»Wir reden mit ihm«, sagte Will. »Aber mehr nicht. Wir reden nur.«
17
Fünf Minuten später fuhr Will den Buick auf den Parkplatz einer verlassenen Mall, die anscheinend vor Kurzem ausgebrannt war. Es war vier Uhr nachmittags, und die Schatten wurden bereits länger. Kalyn half Misty und Raphael aus dem Wagen, nahm dem Jungen die Handschellen ab und führte die beiden mit vorgehaltener Pistole durch das geborstene Schaufenster eines Ladens. Will folgte ihnen.
Drinnen war es dunkel, und es roch verbrannt. Kalyn hatte eine Taschenlampe mitgebracht und ließ den Lichtstrahl durch das Kaufhaus wandern, während sie den Gang entlanggingen, vorbei an der Schuhabteilung. Je tiefer sie vordrangen, desto stechender roch es nach geschmolzenem Plastik, Glas und Linoleum. Überall im Laden standen Kleiderständer herum, an denen angesengte Kleider hingen. Will wusste nicht, ob es am Gestank oder an seiner Angst wegen der Situation lag, aber ihm war übel.
»Was tun wir hier ?«, fragte Misty. Sie bekam keine Antwort. »Meine Nase brennt.«
In der hintersten Ecke des Ladens befand sich die Kinderabteilung.
»Geht zu den Umkleidekabinen«, sagte Kalyn.
Misty weinte wieder. Kalyn stieß die Tür der hintersten Umkleidekabine auf. Auf dem Boden lagen zwei Schlafsäcke, ein Stapel Taschenbücher, vier Taschenlampen, zwei Kisten mit Wasserflaschen und eine große Segeltuchtasche voll mit nicht verderblichen Lebensmitteln.
»Was ist das ?«, fragte Misty.
»Setzt euch, beide.« Kalyn öffnete Raphaels und Mistys Handschellen und schloss sie dann an die Metallbeine einer im Fußboden verschraubten Bank an. Sie stellte das Wasser, das Essen und die Taschenlampen in Reichweite.
»Wollen Sie uns hier etwa alleine lassen ?«, fragte Misty.
»Denken Sie daran, wie verängstigt die Frauen gewesen sein müssen, die Ihr Mann gekidnappt hat.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Ja, klar. Finde ich ihn in The Boulders ?«
»Ja.«
»Sie sollten mich besser nicht anlügen.«
»Ich lüge nicht.«
»Wenn Sie mir die Wahrheit gesagt haben, holt die Polizei Sie heute Abend hier ab. Wenn nicht, komme ich, und dann möge Gott Ihnen helfen.« Sie blickte Raphael an. »Dir wird nichts passieren, okay ? Du musst nur noch ein bisschen tapfer sein.«
Als Kalyn und Will die Umkleidekabine verließen, schrie Misty hinter ihnen her. Ihre Stimme erfüllte den dunklen, leeren Laden.
18
Jetzt setzte sich Kalyn ans Steuer und fuhr in nördlicher Richtung die Scottsdale Road entlang.
Will starrte aus dem Fenster, und trotz der Angst musste er zugeben, dass ein Teil von ihm unbedingt Javier Estrada treffen wollte.
Er zog sein Handy heraus.
»Was haben Sie vor ?«, fragte Kalyn.
»Ich rufe meine Tochter an.«
Devlin nahm beim ersten Klingeln ab. »Hey, Dad.«
Der Klang ihrer Stimme machte ihn fertig. »Was machst du gerade, Baby ?«
»Ich schaue mir eine Kochshow auf PBS an.«
»Wie ist sie ?«
»Ganz großartig«, sagte sie gedehnt. »Bist du bald so weit ? Kalyn hat noch weniger Kanäle als wir.«
»Noch nicht.«
Sie schwieg, dann sagte sie : »Hast du ihn gesehen ?«
»Ich kann jetzt nicht reden, Süße. Ich erzähle es dir später. Ich wollte rasch nach dir hören.«
Er klappte sein Handy zu.
Nördlich von Scottsdale fuhren sie durch das Tor von The Boulders, dem legendären Sechsunddreißig-Loch-Golfplatz in den Hügeln am Rand der Wüste.
»Spielen Sie ?«, fragte Kalyn, als sie sich dem Clubhaus näherten.
»Früher einmal.«
»Wie finden wir denn am besten heraus, ob der Typ irgendwo da draußen ist ?«
»Das ist ein sehr schöner Golfplatz. Er brauchte bestimmt eine Reservierung, deshalb fangen wir am besten im Pro-Shop
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