Spuren des Todes (German Edition)
schon des Öfteren Tauchgänge absolviert. In der Mehrzahl waren es Routineeinsätze, bei denen er die verschiedenen Bereiche der Hafenanlage, die sich unter der Wasseroberfläche befanden, auf mögliche Defekte zu überprüfen hatte. Gelegentlich mussten kleinere Reparaturen erledigt werden. Die Aufträge erhielt seine Firma vom Amt für ländliche Räume.
Der achtundvierzigjährige Taucher war aber auch erfahren genug, um zu wissen, dass es trotz aller Routine und bei bester Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten jedes Mal aufs Neue ein lebensgefährliches Unterfangen sein konnte. Hafenbecken und Sperrwerke an einem Meer wie der Nordsee haben ihre eigenen Gesetze – man könnte auch sagen: ihre eigenen Tücken. Durch die Tiden wechseln permanent Strömung und Sogwirkung des Wassers. Tauchgänge sind nur zu bestimmten Zeiten möglich, um das Risiko einigermaßen kalkulierbar zu halten. Und vor allem nur dann, wenn die Schotts des Sperrwerks geschlossen sind.
Für den ersten Tauchgang hatte er sich das Hafenbecken vorgenommen und die sogenannte Sielkammer, die direkt hinter dem Sperrwerk lag, geschützt vom Meer. Wie es die Vorschrift verlangte, war er dabei über ein Seil mit seinen Kollegen verbunden. Die beiden passten abwechselnd auf. Einer von ihnen saß im Auto, während der andere mit dem Seil in der Hand am Hafenbecken stand, um sofort reagieren zu können, falls Berthold Grundoff über das Seil ein Zeichen gegeben hätte. Sie hätten zusätzlich einen Funkkontakt einrichten können, doch darauf verzichteten sie. Das schien ihnen für diesen Auftrag nicht erforderlich. Der Tauchgang verlief dann auch ohne Komplikationen.
Nach der Mittagspause legte Berthold Grundoff ein zweites Mal seine Tauchausrüstung an. Er entschied sich für ein Leichttauchgerät mit zwei Flaschen, die mit zweihundert Bar komprimierter Luft gefüllt waren – ausreichend für zweieinhalb bis drei Stunden.
Bevor er erneut ins Wasser stieg, diesmal auf der Meerseite, vergewisserten sich seine beiden Kollegen noch einmal, ob die Schotts des Sperrwerks tatsächlich geschlossen waren. Hierfür gingen sie zur Kaimauer, wo sich eine Kontrollanzeige dafür befand. Bei seinem Tauchgang am Vormittag war Berthold Grundoff an einer Stelle eine Strömung aufgefallen, die es dort nicht hätte geben dürfen. Als Ursache kamen zwei Möglichkeiten in Betracht: Entweder war ein Schott doch nicht vollständig geschlossen, oder es hatte ein Leck.
Die Schotts muss man sich vorstellen wie große Metalltore, jedes wog mehrere Tonnen. Geöffnet und geschlossen wurden sie über eine Vorrichtung, die von einem Elektromotor angetrieben wurde. Bei einem routinemäßigen Probelauf, der einige Wochen zuvor stattgefunden hatte, war festgestellt worden, dass sich eines der Schotts weder heben noch senken ließ. Damals hatte man angenommen, der Elektromotor – nicht mehr das jüngste Modell – hätte den Geist aufgegeben. Und deswegen dachte man, das betreffende Schott sei gar nicht bewegt worden und demnach geschlossen. Das war auch das, was die Kontrollanzeige an der Kaimauer anzeigte – nach dem missglückten Probelauf genauso wie an dem Tag Ende November, als Berthold Grundoffs Kollegen darauf schauten.
Die Kontrollanzeige war defekt, aber das war nicht zu erkennen. Also gaben sie ihm grünes Licht, und er verschwand im Wasser. Wieder war er mit den an Land Gebliebenen über ein Seil verbunden.
Die beiden wunderten sich, dass er nach kurzer Zeit zwanzig Meter Seil verlangte, obwohl er in dem Bereich normalerweise nur sechs benötigt hätte. Um sicherzugehen, dass mit ihm alles in Ordnung war, zogen sie dreimal kurz am Seil. Das war das vereinbarte Signal, um ihm mitzuteilen, dass sie ihn hochziehen wollen. Berthold Grundoff »antwortete«, indem er seinerseits zweimal am Seil zog. Das bedeutete: Stopp. Also Entwarnung. Anscheinend sah er keinen Grund, dass sie ihn hochzogen.
Wobei man sich im Nachhinein fragen konnte, ob die Bewegungen des Seils überhaupt durch ihn herbeigeführt wurden. Es pfiff ein scharfer Wind, das Wasser war mehr als unruhig, noch dazu musste sich in der Tiefe ein höllischer Sog entwickelt haben. Denn das Schott, das sich bei dem Probelauf angeblich nicht bewegt hatte, stand doch einen Spaltbreit offen.
Falls das Seilsignal doch als solches gemeint und von Berthold Grundoff gesendet worden war, musste der Achtundvierzigjährige die Situation völlig falsch eingeschätzt haben. Jedenfalls war es das letzte Zeichen, danach kam
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