St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
hinwegkommen. Wenn Kate nur nicht so leidenschaftlich gewesen wäre. Ständig ging sie
das Leben mit gesenkten Hörnern an, dabei war sie unter ihrer rauen Schale doch so verletzlich. Irgendwann würde sie sich unsterblich in einen Mann verlieben.
Valentine hatte bis heute niemals auch nur geahnt, dass er derjenige sein würde.
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Die Flut kam. Schaumgekrönte Wellen brachen sich am Strand u n d schlugen gegen die Klippen. Der Mond erzeugte eine breite Lichtschneise auf dem Wasser, die bis zum Horizont und zu der Stelle reichte, an der vom Meer nicht mehr als ein matter Schatten zu erkennen war.
Darüber hinaus herrschte auf dem Strand völlige Finsternis. Einsam und kalt war es hier, ein Ort, zu dem sich nach Sonnenuntergang nur Wenige wagten. Kate trottete am Wasser entlang und bekam nichts davon mit, wie die spitzen Kiesel gegen ihre Schuhe drückten. Der Wind drang durch die Falten ihres Umhangs und wirbelte ihr die Haare vors Gesicht.
Nur einem Wunder schien es zu verdanken zu sein, dass sie bei ihrem rasenden Lauf den Klippenpfad hinunter nicht gestürzt war. Aber schließlich hatte Val ihr immer erzählt, dass hier Feen wohnten, die die Kinder beschützten. Und die Narren.
Zu Letzteren gehörte sie ganz ohne Zweifel, sagte sie sich bitter und wischte sich ärgerlich die Tränen aus den Augenwinkeln. Nur die größte Närrin auf der Welt konnte sich einbilden, dass Valentine St. Leger sie lieben würde. Ja, natürlich, er sorgte für sie, und er kümmerte sich um sie, aber eben nur auf eine brüderliche Art und Weise. Dabei wollte sie etwas ganz anderes von ihm.
Wahrscheinlich machte er sich gerade wieder große Sorgen um sie, weil sie allein und in der Dunkelheit zum Strand hinuntergerannt war. Aber abgesehen von seinen Armen, fand sie nur am Meer Ruhe und Trost. Vielleicht, weil das unendliche Heranrollen der Wellen im Gleichklang mit dem rastlosen Schlagen ihres Herzens stattfand. Außerdem war das Meer so riesig, dass ihre eigenen Nöte ihr dagegen nichtig und klein erschienen. Und wenn jemand ihre Tränen entdecken sollte, konnte sie immer die salzhaltige Gischt dafür verantwortlich machen. Einmal, als sie sich besonders verbittert fühlte, hatte sie Val schockiert und ihm erklärt, ihre Mutter müsse ein hartherziges liederliches Frauenzimmer gewesen sein, die ihre Tochter nur durch einen Zufall zur Welt gebracht und nicht abgetrieben habe. Das würde doch zumindest ihren unsteten Charakter und ihren Hang, zu lügen, zu stehlen und zu betrügen erklären. Nur damit sei es ihr gelungen, sich in ihren ersten Jahren in London durchzuschlagen. Zweifelsohne habe sie böses Blut in sich, und das müsse doch von irgendwoher gekommen sein. Aber da hatte der herzensgute Arzt den Arm um sie gelegt und ihr eine seiner Geschichten erzählt, die davon handelte, dass sie die Tochter einer Nixe oder einer Meerjungfrau sein müsse. Nur so ließen sich ihre Schönheit, ihr Mut und der Umstand erklären, dass sie sich so sehr zum Wasser hingezogen fühlte.
Damals hatte Kate über diese Geschichte gelacht, aber tief in ihrem Innern war sie versucht gewesen, ihm das zu glauben. Schon immer hatte sie alles für bare Münze genommen, was er ihr erzählte.
Warum zweifelte sie dann jetzt an ihm, wenn er ihr erklärte, dass er niemals heiraten könne? Neue Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie wischte sie hastig fort. Sie wickelte sich fester in ihren Umhang, blinzelte und versuchte, sich auf den Rhythmus der Wellen zu konzentrierten, die sich an den Klippen brachen. Aber das erinnerte sie doch zu sehr daran, wie heute Abend alle ihre Hoffnungen zerbrochen waren. Dabei hatte Kate sich mit den Vorbereitungen solche Mühe gegeben: in Rosenwasser gebadet und ihr Haar mindestens hundertmal gebürstet. Dann hatte sie sich mit einer Schere über das Kleid hergemacht, das Effie ihr gegeben hatte. Schnipp, schnapp hatte sie den Ausschnitt vergrößert, bis sie vor dem Spiegel errötete. Seltsam, sie war doch früher nie rot geworden. Heute Abend sollte Val sie unbedingt so sehen, wie sie wirklich war. Nämlich kein kleines Mädchen mehr, sondern eine richtige Frau.
Zur Sicherheit hatte sie auch noch ihren Liebeszauber angelegt - ein Amulett, das sie sich selbst nach den hiesigen Sagen und Märchen gebastelt hatte. Beim Licht des Mondes hatte sie den Lehm geformt und mit getrocknetem Heidekraut vermischt, der hinter dem mystischen alten Stein wuchs. Dem Ganzen hatte sie noch ein paar Tropfen ihres Bluts
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