St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
gekommen war und zum ersten Mal Valentine St. Leger gesehen hatte ...
Das Mädchen hockte auf dem Boden der Kutsche und fühlte sich von den endlosen Reisetagen müde und zerschlagen. Hin und wieder wagte sie es, durch die Ritze des Vorhangs zu spähen, den man vor das Fenster gezogen hatte, um die Welt auszusperren. Dabei konnte sie die Welt nicht leiden, so wie sie sich im Dämmerschein zeigte. Zu viel offene Fläche gab es hier, in der Mitte eine Ansammlung von Steinhütten, die sich stolz Dorf nannte, und dazu grimmige, störende Schatten. Und das Land, das sich dahinter ausbreitete, wirkte Angst einflößend weit und schien irgendwann einfach aufzuhören.
Kate vermisste jetzt schon das geschäftige Treiben Londons. Das Leben im Waisenhaus war schrecklich gewesen - zu wenig zu essen und zu viel Prügel. Aber wenigstens hatte sie die Härten und Gefahren dort verstanden, sie waren für sie berechenbar gewesen ... Aber das Land hier, dieses Cornwall mit seinen Klippen, seiner anbrandenden See und den fremden Menschen war einfach ... war ...
Das Mädchen presste die Li ppen aufeinander und unterdrückte den Gedanken, weil sie niemals zugeben würde, dass sie sich vor etwas fürchtete.
Dann verrenkte sie den Hals und wagte noch einen Blick durch die Ritze. Sie selbst hatte an allen Kutschfenstern die Vorhänge heruntergezogen.
Draußen versammelten sich bereits die Neugierigen. Kate sah Gesichter mit Zügen §o rau wie das ganze Land Cornwall; und sie hörte unwilliges Gemurmel. »Was geht denn da drinnen vor, zum Donnerwetter?« »Das Mädchen will partout nicht aus der Kutsche kommen.«
»Dann sollte jemand sie herauszerren und ihr eine ordentliche Abreibung verpassen!« »Ein Mädchen? Was denn für ein Mädchen?« »Irgendeine Waise. Miss Effie hat sich in den Kopf gesetzt, sie zu adoptieren.«
»Ein dahergelaufenes Findelkind? Na, das wird sich aber noch als großer Fehler erweisen!« Katies Unterlippe zitterte, und sie biss darauf, um das Zittern zu stoppen. Was diese Narren da draußen miteinander zu reden hatten, scherte sie nicht. Nicht zum ersten Mal hörte sie, wie man sie als »Fehler« beschrieb. Seit ihrer frühesten Kindheit hatte sie erfahren dürfen, was es bedeutete, ein Bankert zu sein ... weder Namen noch Zuhause noch Vater zu haben, ein Kind zu sein, das man versteckte und dessen man sich schämte ... Sie zog sich vom Fenster zurück und sank noch tiefer zwischen die Sitzbänke. Niemals würde sie sich aus der Kutsche zerren lassen. Nein, nie und nimmer! Den Postillion hatte sie bereits mit einer gezielten Geraden auf die Nase vertrieben, und den Kutscher mit einem Biss in dessen Hand.
Die verrückte Frau mit den lächerlichen kupferroten Löckchen, diese Effie Fitzleger, die sie adoptiert hatte, bemutterte sie zu sehr und verlangte außerdem noch, von Kate mit »Mama« angeredet zu werden. Diese grässliche Frau hatte allen Ernstes versucht, ihre Adoptivtochter mit einer Schachtel Naschwerk aus der Kutsche zu locken. Das Mädchen hatte nur geflucht und ihr die Schachtel vor die Füße geworfen. Effie war entsetzt zurückgewichen. Jetzt stand diese Irrsinnige auf der Straße und weinte laut vor sich hin.
Katie rieb sich die Augen. Sie war müde, sie fror, und sie hatte Hunger. Sie hatte sich mit dem Hieb auf die Nase des jungen Postlers die Fingerknöchel verletzt, und überhaupt fühlte sich die ganze Hand an, als habe sie damit auf einen Felsen eingeprügelt.
Am liebsten hätte das Mädchen auch geweint. Aber hier, vor diesen Leuten? Nein, lieber würde sie sich die Zunge abbeißen. Sie schob sich unter die Bank und wartete auf den nächsten Angriff.
Als sich die Tür dann wieder öffnete, zeigte sich weder Effie noch der Kutscher mit der Bärenstatur. Sondern ein fremder junger Mann mit dunklem Haar, das ihm in die Stirn fiel.
»Miss Katherine?«
Katie drehte sich um, weil sie feststellen wollte, mit wem er sprach. Als ihr dann aufging, dass er damit sie gemeint hatte, verfinsterte sich ihre Miene. Sie konnte es auf den Tod nicht ausstehen, veralbert zu werden. »Verschwindet!«, drohte sie und ballte die bereits verletzten Finger. »Sonst gibt's was auf die Glocke! Niemand wird mich hier herausziehen!« »Das hatte ich auch gar nicht vor. Ich wollte Euch vielmehr um die Erlaubnis bitten, zu Euch hineinkommen zu dürfen.«
Der höfliche Tonfall und das unerwartete Begehr trafen sie völlig unvorbereitet. Niemand hatte sie jemals für irgendetwas um Erlaubnis gefragt. So starrte
Weitere Kostenlose Bücher