St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
Feuerring stieg höher und schleuderte Funken in den schwarzen Vorhang der Nacht. Unheimlicher Lichtschein umwaberte den uralten Stein. Seit Jahrhunderten hatte man hier kein Feuer mehr entzündet; nicht seit der Herrschaft Oliver Cromwells, als man sich erzählte, Hexen würden am Fuße dieses Monolithen ihre teuflischen Rituale durchführen. Doch zeigte sich hier heute Nacht nur eine Frau. In ihrem wehenden schwarzen Umhang wirkte sie durchaus wie eine Zauberin. Der Wind fuhr ihr durch das rabenschwarze Haar, und die Flammen erzeugten vielerlei Farben auf ihren blassen Wangen. Ihre Augen brannten beinahe noch grimmiger als das Feuer. Jeder, der hier zufällig vorbeikäme, würde sofort glauben, es habe ihn in eine Hexenversammlung verschlagen, und die Beine in die Hand nehmen.
Aber während Kate neues Holz in die Flammen warf, fühlte sie sich ganz und gar nicht wie eine mächtige, schreckliche Zauberin, sondern eher wie ein Kind, das mit dem Feuer spielte.
Die junge Frau hustete von dem Rauch, den der Wind ihr ins Gesicht blies, und zog sich in den Schutz des großen Steins zurück. Mit brennenden Augen sah sie sich um und versuchte, sich zu beruhigen.
Der Hügel, auf dem sie stand, bot normalerweise einen einmaligen Ausblick auf die Ländereien der St. Legers. Aber heute Nacht war das Land in der Finsternis verborgen. Und das Meer viel weiter unten brüllte wie ein Untier, das mit seinen Klauen gegen die Küste schlug. Trotz des warmen Umhangs und des lodernden Feuers fror Kate. Sie hatte noch nie Angst vor der Dunkelheit gehabt, aber heute schien einiges in der Luft zu liegen. Halloween, die Nacht vor Allerheiligen, war angebrochen. In dieser Nacht sollte sich, so erzählte man sich, die Grenze zwischen dieser und der nächsten Welt auflösen, sodass ruhelose Geister von der einen in die andere spazieren könnten.
Tatsächlich schien diese Nacht selbst zum Leben erwacht zu sein. Wie ein Tier heulte der Wind durch die Bäume, die Wolken warfen unheimliche Schatten auf den Mond, und immer wieder raschelte es im Heidekraut. Ein Wiesel oder ein Dachs, redete Kate sich ein. Doch jedes Mal, wenn sie sich rasch umdrehte, war nichts zu sehen. Dafür klopfte ihr Herz umso lauter.
Jeder, der seine fünf Sinne noch beisammen hatte, würde sich heute Nacht nicht hier draußen aufhalten, sondern bei den Freudenfeuern bleiben, die in den Dörfern angezündet wurden.
Kate wünschte, sie hätte das auch getan, um mit den anderen um die Flammen herumtanzen und so die Geister und Dämonen für ein weiteres Jahr zu verscheuchen. Aber nein, sie wollte ja einen eigenen dunklen Zauber bewirken. Mit zitternden Fingern griff sie in ihren Umhang und zog das gestohlene Buch heraus. Die ganze Zeit befürchtete sie, Prospero könne jeden Moment in einer Rauchsäule vor ihr aufsteigen und ihr voller Zorn sein Buch entreißen!
Verwirrt fragte sich die junge Frau, warum der Urahn noch nicht eingeschritten war. Seit zwei Tagen hatte sie das Bändchen nun schon in ihrem Besitz. Bestimmt war ihm doch längst aufgefallen, dass das Buch fehlte; und er konnte sich auch sagen, wer es ihm gestohlen hatte. Wenn er sein Eigentum nicht zurückverlangte, dann wohl nur aus dem Grund, ihr diesen üblen Streich mit gleicher Münze heimzuzahlen.
Vielleicht hatte der großmächtige Zauberer sie ja auch hereingelegt. Womöglich hatte er sie getäuscht, und sie glaubte nur, ein Zauberbuch eingesteckt zu haben. Nicht auszudenken, wenn sich das Bändchen als Werk voller wertlosem Unsinn entpuppen sollte ... Nein, diese Möglichkeit wollte Kate nicht in Betracht ziehen. Sie strich über das Drachenzeichen, das man in den Einband gepresst hatte, und glaubte, die Macht zu spüren, die zwischen den brüchigen Seiten steckte. Der gerissene Prospero hatte seine persönlichen Notizen in einer Geheimschrift niedergelegt, ha, das glaubte er aber auch nur! Kate hatte in ihnen sofort ägyptische Hieroglyphen wiedererkannt. Valentine, der als fortschrittlicher Gelehrter allen Neuerungen offen stand, hatte sich auch mit der neuen Wissenschaft der Ägyptologie befasst - und seine Schülerin in der alten Bilderschrift unterwiesen. Beim Unterricht hatte er manchmal geglaubt, ihr zu viel abzuverlangen, und sie gefragt, ob sie das nicht alles furchtbar langweile.
»Aber nein«, hatte sie sofort widersprochen. Wie sollte sie Val nur begreiflich machen, dass sie, die ihre Jugend in London verbracht hatte, erst durch ihn erkannte, wie schmal die Straßen dort waren? Sein
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