St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
Bibliothek, in der man lediglich das Prasseln des Feuers und den Wind zu hören bekam, welcher über das Dach rauschte und an den Läden zerrte.
Der Arzt streckte sich in seinem Sessel aus. Er hatte einen anstrengenden Nachmittag hinter sich. Entlang der ganzen Küste hatte er Kranke versorgen müssen und sich nach dem Moment gesehnt, an dem er allein mit seinen Büchern und einem Glas Brandy vor dem offenen Kamin sitzen konnte.
Doch jetzt, da sein Wunsch in Erfüllung gegangen war, fühlte er sich seltsam ruhelos. Zum wiederholten Mal setzte er die Brille auf, versuchte zu lesen und gab das nach wenigen Minuten auf.
Vielleicht war es ja im Haus zu ruhig. Obwohl sein Haus als kleines Cottage bezeichnet wurde, bot es doch Raum genug für ein halbes Dutzend Rangen, die den ganzen Tag im Haus herumtobten, und für eine Ehefrau, die hierhin und dorthin lief, um alle zu versorgen und das Abendbrot zuzubereiten.
Groß genug für die Familie, die er niemals haben würde, dachte Valentine bitter.
Was für ein Glück, dass ihm dieses Anwesen nicht gehörte. Er hatte es von seinem Onkel, Dr. Marius St. Leger, gemietet. Marius war eine Generation älter als Valentine, sein väterlicher Freund, sein Lehrer und wohl auch sein Vorbild. Aber im letzten Sommer hatte der alte Arzt einen Lehrstuhl an der Medizinischen Fakultät der Universität von Edinburgh angenommen.
Valentines Vater, Anatole St. Leger, hatte das tief getroffen, denn er sah Marius schon immer als seinen besten Freund an.
»Cornwall ist dein Zuhause!«, hatte er sich aufgeregt. »Warum will jemand von hier fort? Und dann auch noch mir nichts, dir nichts nach Schottland?« Marius hatte nur gelächelt und eine ausweichende Antwort gegeben. Aber Valentine verstand die Gründe seines Onkels sehr gut, denn die fanden sich immer noch auf dem Kaminsims, der so etwas wie einen Schrein für Marius' verlorene Liebe darstellte: ein Paar gelbe Handschuhe, ein verblichenes Haarband und ein Fächer lagen um das Miniatur-Porträt von Anne Syler gruppiert - seine auserwählte Braut.
Der junge Arzt hatte damals der Familientradition keine Folge geleistet und sich zu lange nicht um seine Zukünftige gekümmert. Als er dann endlich Zeit für sie gefunden hatte, war sie in seinen Armen gestorben. Deswegen konnte Valentine dem Onkel sehr gut nachempfinden, dass er dringend von hier fortwollte. Zu viele Jahre schon suchten ihn die Erinnerungen an Anne heim ... quälte ihn die Freude glücklich verheirateter St. Legers wie Anatole oder Lance. Die hatten ihre auserwählte Braut geheiratet, und Marius wusste, dass ihm solche Freuden nie mehr offen stehen würden. Manchmal fragte sich Valentine, ob es ihm nicht noch schlechter als seinem Onkel ging; der hatte wenigstens die Chance erhalten, sein Glück zu finden, und sie nicht genutzt. Valentine selbst aber sollte nicht einmal eine solche Gelegenheit erhoffen.
Vielleicht, wenn er ebenfalls ein alter Mann geworden war, würde es ihn auch aus Cornwall forttreiben ...
Wie lange noch bis dahin? Er schlug die Decke zurück, legte die Brille beiseite, ergriff seinen Stock und richtete sich rasch auf.
Zu rasch, denn ein heftiger, stechender Schmerz im Knie ließ ihn gleich wieder in den Sessel zurücksinken. Scharf einatmend beugte er sich vor, um sein Bein zu massieren. Er spürte die steinhart verkrampften Muskeln unter dem Knie und wusste, dass ihm wieder eine qualvolle Nacht bevorstand. In den frühen Morgenstunden würde er es dann wohl nicht mehr aushalten und erneut Laudanum einnehmen. Die opiumhaltige Tinktur linderte zwar die Schmerzen, aber er verachtete sich selbst dafür, darauf angewiesen zu sein.
Der Arzt zwang sich noch einmal hoch und lief in der Bibliothek herum, um die Steifheit des Beins zu lösen. Aus der Ferne hörte er ein Rumpeln und Grollen, aber sein Knie hatte ihm schon längst mitgeteilt, dass ein Gewitter aufzog. Wie schön, dachte er sarkastisch, einen so zuverlässigen Wettervorhersager zu besitzen. Er humpelte zum Fenster und starrte in die finstere Nacht. Die Mondsichel wurde immer wieder von den vorbeirasenden Wolken verdeckt. Kein Wunder, wenn die Dörfler heute Nacht herumsprangen und ihre Mistgabeln schwangen, um alle Hexen zu verjagen, die Torrecombe auch nur nahe kommen sollten.
Valentine fragte sich traurig, ob Kate wohl ebenfalls zu den Freudenfeuern gegangen war. Er hoffte es für sie. Immer noch besser, als in ihrer Stube zu hocken und sich zu grämen. Die wilde Kate hatte immer großes
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