St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
unter die Kapuze und wünschte im selben Moment, das nicht getan zu haben.
Seelenlose schwarze Augen starrten ihn fiebrig aus einem leichenblassen Gesicht mit einem wilden Bart an. Reeve prallte unwillkürlich zurück und stolperte über einen Stein.
Panik befiel ihn, ohne dass er einen Grund dafür nennen konnte. Als er sich wieder aufgerappelt hatte und am liebsten davongerannt wäre, stellte er fest, dass er allein war. War der Fremde einfach verschwunden ... oder hatte Reeve sich das alles nur eingebildet? »Verdammt!«, murmelte er und stellte fest, dass er zitterte. Bei Gott, er war nie abergläubisch gewesen, aber seine Nachbarn sollten in dieser Nacht besonders wild tanzen, um die Dämonen aus dem Dorf fern zu halten.
Das Schieferhaus erhob sich unweit der Küste, ein abgelegenes, zweistöckiges Cottage, das als Nachbarschaft nicht mehr als Sanddünen, Grasbüschel und Möwen hatte. Das einzige Licht drang aus der Bibliothek im hinteren Teil des Hauses. Hier drängten sich die Regale so dicht an dicht, dass man meinen konnte, in eine Bücherhöhle geraten zu sein.
Jem Sparkins entzündete noch ein paar Kerzen und lief dann in der ganzen Kammer umher, um zu überprüfen, ob alle Fensterläden geschlossen waren und kein Windstoß sie aufreißen konnte.
»Mir gefällt die Vorstellung nicht, Euch heute Abend allein zu lassen, Sir«, sagte Jem und warf einen besorgten Blick auf seinen Herrn, der neben dem Feuer im Ohrensessel saß.
Valentine St. Leger lehnte gegen die Kissen und hatte sein krankes Bein auf den Fußschemel gelegt. Der Gehstock lehnte griffbereit nicht weit von ihm. Eine braune Decke lag auf seinem Schoss, um ihn gegen die Nachtkälte zu schützen. Und auf der ruhte natürlich ein aufgeschlagenes Buch.
Doch währe n d der letzten halben Stunde hatte der Arzt sich nicht so recht auf die Abhandlung über Kräutermedizin konzentrieren können. Er starrte in den offenen Kamin, sah dort aber nicht die prasselnden Flammen, sondern einen mondbeschienenen Garten und eine junge Frau, die sich mit verzweifelter Miene von ihm entfernte. Das sind meine Schmerzen, Valentine St. Leger, und nicht deine!
Ach, Kate. Er unterdrückte einen schweren Seufzer und wusste nur zu gut, wie das Mädchen sich aufführen konnte, wenn sie verletzt war. Wie ein verwundetes Tier schlug sie dann wild um sich und vertrieb damit alle, die ihr helfen wollten...
Doch vor ihm war sie noch nie davongelaufen. Und vor allem das hatte den Arzt tiefer getroffen als alles andere. Seit ihrer Geburtstagsnacht war Kate ihm aus dem Weg gegangen. Zwei Tage war das nun her. Valentine hatte sich auf den Weg zu Effies Cottage gemacht, um sich nach dem Befinden der jungen Frau zu erkundigen. Aber Kate hatte nur eine Magd zu ihm geschickt und ihm ausrichten lassen, dass die junge Dame heute an Kopfschmerzen leide und keine Besucher empfangen könne. Kopfschmerzen? Valentine hätte beinahe laut über dieses Schauspiel gelacht, wenn er sich nicht wirklich Sorgen um das Mädchen gemacht hätte. Kate hatte in ihrem ganzen Leben noch nie Kopfschmerzen gehabt, die bereitete sie nur den anderen. »Sir? Dr. St. Leger?«
Der Arzt brauchte einen Moment, um in die Gegenwart zurückzukehren. »Habt Ihr etwas gesagt, Jem?«
»Ja, Sir, nämlich dass ich Euch heute Nacht nur ungern allein lasse, besonders an Halloween.«
»Wieso denn das? Befürchtet Ihr, ein Kobold käme durch den Kamin, um mich zu holen?«
Der Jüngling verzog das Gesicht zu einem Grinsen. »Nein, Sir. Ich glaube, nicht einmal ein Geist würde es wagen, sich mit den St. Legers anzulegen. Aber Ihr habt bereits Sallie und Lucas frei gegeben, um die Freudenfeuer zu besuchen, und jetzt, da ...«
Jem brach ab und blickte unglücklich drein. Der Arzt verstand aber auch so sehr wohl, was ihn beschäftigte: Jemand sollte bleiben und nach dem Mann mit dem verkrüppelten Bein sehen.
Valentine hatte sonst nie so bittere Gedanken und unterdrückte sie jetzt rasch. »Ich glaube, Jem, für ein paar Stunden kann ich durchaus selbst auf mich aufpassen. Und jetzt sputet Euch, sonst ist der ganze Spaß vorbei!« Der junge Mann öffnete den Mund, aber Valentine schickte ihn fort. Seine Bediensteten liebten und schätzten ihn. Doch sie wussten, wann Widerspruch zwecklos war.
»Dann gute Nacht, Sir.« Der getreue Jem schlurfte davon, sah sich nicht noch einmal um, machte aber einen sehr unglücklichen Eindruck.
Als die Haustür ins Schloss gefallen war, senkte sich eine eigenartige Stille über die
Weitere Kostenlose Bücher