St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
Glühen des Feuers überflog sie die fremdartigen Schriftzeichen. Seit zwei Tagen studierte sie schon Prosperos Notizen, aber das Übersetzen fiel ihr immer noch schwer.
»Des Nachts sollst aufsuchen - Einen Ort von großer Magie«, stimmte sie den Zaubersingsang an. Kate warf einen vorsichtigen Blick über die Schulter auf den stehenden Stein. Ein Ort von größerer Magie ließ sich wohl in der ganzen Gegend nicht finden. Und kein besserer Tag als der Vorabend zu Allerheiligen ...
Der Wind riss ihr die Seite aus der Hand, und sie musste sie erst wieder glatt streichen, um fortfahren zu können: »Auf die Flammen nun lege - Das Symbol deines Herzenswunsches - Die Initialen deiner Leidenschaft - In festes schwarzes Feuer geritzt...«
Die junge Frau hatte eine ganze Weile gebraucht, um herauszufinden, was damit gemein war. Festes schwarzes Feuer - damit konnte Prospero nur Kohle gemeint haben, oder? Und darauf ließen sich auch Buchstaben ritzen.
Kate zog das Stück Kohle aus ihrer Umhängetasche, auf das sie die Buchstaben Y und S gekratzt hatte. Sie zögerte lange, doch dann atmete sie tief durch und warf die Kohle in die Flammen.
Sie prallte gegen einen glimmenden Scheit und löste einen Funkenregen aus. Die junge Frau zuckte zurück und presste das Buch an sich. Als sie wieder in das Feuer sah, ließ sich von dem Kohlestück nichts mehr erkennen. Aber nein, dort steckte es - im Zentrum des Scheiterhaufens, wo die Flammen blauweiß brannten. Kate starrte wie gebannt darauf und wartete mit angehaltenem Atem, dass sich etwas tat...
... bis ihr einfiel, dass sie den Zauber noch nicht zu Ende gesprochen hatte. Sie schaute wieder ins Buch. »Nun sprich die rechten Worte -«
Jetzt wurde es richtig schwierig. Die Silben und Bildwörter des Altägyptischen ließen sich entziffern. Aber damit wusste man noch lange nicht, wie sie ausgesprochen wurden. Eine falsche Betonung konnte den Sinn entstellen und eine Katastrophe heraufbeschwören. Ein lauter Donnerschlag kündigte an, dass der Sturm schon ziemlich nahe war, und der Wind zog und zerrte an ihr. Man hätte meinen können, die Nacht selbst wolle Kate zum Innehalten bewegen.
»Mut, Mädchen«, versuchte Kate sich gut zuzureden. Sie leckte sich über die Lippen, schloss die Augen und flüsterte: »Mithcaril bocurm epps.«
Ein schwerer Donnerschlag ließ das Cottage erbeben, und das Licht der Dielenlampe flackerte über das wachsbleiche Gesicht des Mannes, der ausgebreitet vor Valentine lag.
»Rafe Mortmain«, entfuhr es dem Arzt erneut, so als wolle er seinen Augen nicht trauen. Und im selben Moment riss er seine Hand zurück, als habe er gerade versucht, einen Wolf zu streicheln.
Rafe lachte laut, bis ihn ein Hustenanfall packte. »Bin nicht... hier, um ... Euch etwas ... anzutun«, erklärte Mortmain, als er wieder sprechen konnte. »Ihr könnt... es mit... eigenen Augen ... sehen ... Bin nicht... in der ... Verfassung, Euch... umzubringen, nicht... einmal mich ... selbst... Kein Grund ... also, Euch ... zu sorgen ...« Kein Grund? Wohl höchstens der, dass sie beide sich bei ihrer letzten Begegnung einen Zweikampf auf Leben und Tod geliefert hatten. Rafe hatte ihn schließlich im »Drachenfeuer« die Treppe hinuntergeworfen, und sein Spießgeselle hatte Valentine in den Rücken geschossen.
Danach hätte nicht viel gefehlt, und er wäre in der Familiengruft unter der Kirche St. Gothian zu Staub zerfallen, wenn er nicht über so ungewöhnliche Heilkräfte verfügt hätte.
Rafe mochte schwach und hilflos erscheinen, aber der Arzt wusste genau, dass ein verwundeter Wolf gefährlicher war als jedes andere Raubtier. »Vermag Euch ... jetzt nichts ... zu tun ... Allein Euch ... zu finden ... hat mich ... alle Kraft ... gekostet ... Bin auch ... nur gekommen ... Euch das ... zu geben ...«
Er griff in seinen Mantel, und Valentine befürchtete, im nächsten Moment erschossen oder erdolcht zu werden. Doch dann überraschte Rafe ihn, als er sich plötzlich aufrichtete und seinen Unterarm festhielt. »Hier ... nehmt das ...«
Bevor der Arzt sich befreien konnte, drückte Mortmain ihm etwas in die Hand und fiel wieder auf den Boden zurück. Die Anstrengung brachte ihn an den Rand des Zusammenbruchs.
»Geschafft... getan«, murmelte der Mann, und tiefste Zufriedenheit breitete sich auf seiner Miene aus. Valentine brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen. Dann öffnete er die Hand, um nachzusehen, was Rafe ihm gegeben hatte.
Vor Verwunderung blieb ihm der Mund offen
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