St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
fallen lassen hatte.
Vor dem Fenster zögerte sie und wusste nicht, ob sie hinausschauen sollte. Wenn nun wirklich das ganze Dorf abgebrannt wäre ...
Doch Torrecombe breitete sich wie immer vor ihr aus und döste in der Herbstsonne. Strohdächer krönten die schmucken Häuschen. An den Sturm der letzten Nacht erinnerten nur ein paar abgerissene Zweige und die Pfützen auf den Straßen und Wegen.
Von den Freudenfeuern, den springenden Schemen und den zur Abwehr von vorbeifliegenden Hexen geschwungenen Mistgabeln war nichts mehr zu sehen. Fast hätte man meinen können, gestern Nacht sei nicht der Vorabend von Allerheiligen gewesen. Das Dorf stand noch. Die Blitze hatten das Land nicht aufgerissen.
Kate drückte die pochende Stirn an die kühle Scheibe. Andere Fragen beschäftigten sie jetzt. Die junge Frau hatte einige Mühe gehabt, die Hieroglyphen in Prosperos Bändchen zu entziffern. Was sie allerdings gelesen hatte, gab zu der Hoffnung Anlass, dass ihr Liebeszauber rasch wirkte. Gerade so wie bei einem einschlagenden Blitz.
Doch so lange sie auch hinausstarrte, da kam kein Val herangeritten, um ihr seine liebe und Leidenschaft zu gestehen und zu beweisen. Um die Tür aufzubrechen, Kate in die Arme zu nehmen und sie in ein besseres Leben zu entführen.
Die Straße blieb ebenso friedvoll und leer, mochte sie auch noch sooft hinschauen.
Ob sie den Zauber falsch aufgesagt hatte? Oder etwas falsch verstanden hatte. Womöglich bedeutete bei einem Zauber »rasch« nicht das Gleiche wie bei den Menschen. Womöglich hatte der Zauber auch gar nicht gewirkt.
Kate verließ das Fenster und trat zu dem Buch, das sie in der Nacht auf ihren Ankleidetisch gelegt hatte. Jetzt, im Tageslicht, wirkte das Bändchen recht unscheinbar. Wie ein Buch über keltische Sagen und Lieder. Sie berührte das Bändchen mit den Fingerspitzen und spürte - nichts. Kate versuchte, das Prickeln, die angespannte Erwartung und selbst das furchtsame Beben wiederzubeleben, die das Buch letzte Nacht bei ihr ausgelöst hatte.
Aber sie fühlte nichts davon, als habe der eisige Regen nicht nur das Feuer, sondern auch alle Magie gelöscht. Mit schlechtem Gewissen betrachtete Kate die Seiten. Einige waren noch feucht, die meisten mit Wasserflecken, und an einigen Stellen war die Tinte verlaufen. Prospero würde alle Albträume für sie wahr werden lassen und sie bei lebendigem Leib am Spieß braten ... aber spielte das noch eine Rolle?
Eigentlich konnte kein Zweifel mehr bestehen: Sie hatte versagt. Kate befürchtete, ihre Zauberversuche hatten ihr nicht mehr eingebracht als Kopfschmerzen. Oder eine Erkältung, wie ein Niesreiz erahnen ließ. Nach allem, was die junge Frau letzte Nacht durchgemacht hatte, wusste sie nur zu gut, dass sie nie wieder den Mut aufbringen würde, sich noch einmal an schwarzer Magie zu versuchen.
Wie kam sie überhaupt dazu, sich einzubilden, sich auf Zauberei verstehen zu können? Nur einer liebeskranken Närrin konnte solcher Unsinn einfallen. Und wie ging es jetzt weiter? Sie sank auf den Hocker vor ihrem Ankleidetisch und legte den brennenden Kopf auf die Arme; sie war zu müde und zu entmutigt, um noch einen klaren Gedanken fassen zu können. Da hämmerte es an ihrer Kammertür. Kate versuchte, die Kraft für den Ruf aufzubringen, dass sie nicht gestört zu werden wünsche. Aber dafür war es schon zu spät. Ihre Tür flog auf, und sie hatte gerade noch genügend Geistesgegenwart, sich hinzusetzen und Prosperos Buch unter einem leichten Sommerschal zu verstecken, der auf dem Ankleidetisch lag.
Doch das hätte sie sich sparen können. Der Magd wäre sicher selbst dann nichts aufgefallen, wenn sie Prosperos gesamte Bibliothek hier aufgebaut hätte. »Ach, Miss Kate«, sprudelte es schon aus Nan heraus, »Ihr seid endlich wach, dem Himmel sei Dank. Ihr müsst sofort herunter in den Salon kommen. Miss Effie ruft die ganze Zeit nach Euch, und sie befindet sich wieder in einer ihrer Stimmungen.«
O nein! dachte die junge Frau. Bitte, bloß das nicht. »Worum geht es denn?«
»Mrs. Bell war heute Morgen hier und verlangte Miss Effie zu sprechen, noch bevor die Ärmste ihr Bett verlassen und ihre Morgenschokolade genossen hatte.« Kate erstarrte, als sie den Namen Mrs. Bell hörte. Die war nicht nur Saumnäherin und Schneiderin, sondern auch die größte Klatschbase im ganzen Dorf. »Die Schneiderin hat die ganze Zeit auf Euch herumgehackt, Miss Kate«, fuhr Nan empört fort. »Sie erklärte Miss Effie, man habe Euch
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