St. Leger 03 - Die Nacht der Feuerfrau
Teufel im Leib, und dann muss ich ein Stück weit fortreiten, um allein zu sein.«
»Warst du denn allein, mein Schatz?« »Aber gewiss, warum fragst du?«, wollte Kate ehrlich überrascht wissen. »Wer sollte denn so verrückt sein, mit mir an Halloween durch die Dunkelheit zu reiten?« Effie senkte den Blick und spielte mit der Spitze an ihrem Taschentuch. »Nun ja, du bist jetzt eine junge Frau, und ein Ritt über den Strand bei Mondlicht kann sehr romantisch sein ... Ich selbst habe das ja auch so empfunden und hatte zu meiner Zeit auch meinen eigenen Kopf. Deswegen verstehe ich gut, dass ein Mädchen manchmal versucht sein kann ... äh, versucht sein kann ...« Kate starrte sie erst verständnislos an, und als ihr die Erkenntnis dämmerte, was ihre Adoptivmutter so umständlich zum Ausdruck zu bringen versuchte, brach sie in lautes Gelächter aus.
»Grundgütiger, Effie! Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, dass ich letzte Nacht mit jemandem ein Stelldichein hatte, oder? Es gibt nur einen Mann, bei dem ich im Mondschein schwach werden würde, aber leider ist der viel zu anständig, um das auch nur zu versuchen. Du weißt, von wem ich rede -«
»Sprich den Namen nicht aus!«, kreischte Effie und saß jetzt kerzengerade da.
Kate lächelte nachsichtig. »Seinen Namen nicht auszusprechen, das ändert überhaupt nichts daran, dass ich Val St. Leger immer schon geliebt habe und immer lieben werde.«
»Jesus, Maria und Josef!«, entfuhr es der Adoptivmutter. Sie erbleichte und griff nach ihrem Riechsalz. »Ich habe so sehr darum gebetet, dass du dir das endlich aus dem Kopf schlagen würdest. Immerhin hast du den guten Mann ja schon länger nicht mehr erwähnt.« Kate hatte nur deswegen nicht mehr über Val gesprochen, weil das regelmäßig diese Reaktion bei Effie auslöste. Nachdem die ältere Frau sich an dem Salz gestärkt hatte, meinte sie mit flehentlichem Blick: »Was du für Valentine fühlst, ist nur eine vorübergehende Schwärmerei. Das vergeht, und am besten fängst du gleich damit an, ihn zu vergessen.«
»Das sagt mir jeder, und nur wegen dieser dummen Sage.« Kate zwang sich zu einem sehnsuchtsvollen Lächeln. »Du bist die geehrte und bewunderte Brautsucherin der St. Legers. Könntest du nicht einmal eine Ausnahme machen und mich zu Vals Auserwählter erklären?« Effie wirkte ob eines solchen Ansinnens so entsetzt, dass die junge Frau rasch hinterherschickte: »War nur ein Spaß! Ich glaube ja nicht an die Sage. Und selbst wenn an dieser Geschichte wirklich etwas dran wäre, gilt sie nur für blonde Prinzessinnen wie Rosalind St. Leger. Nicht aber für ungewollte Früchtchen wie mich.« »Kate, Kate, sag doch bitte so etwas nicht!« Effie brach in Tränen aus, und die junge Frau wünschte, sie hätte den Mund gehalten. Kate wusste doch nur zu gut, dass ihre Adoptivmutter nicht damit zurechtkam, wenn auf die düstere Vergangenheit ihrer Tochter angespielt wurde. Manchmal konnte man den Eindruck gewinnen, Effie glaube, sie habe Kate wie weiland Moses in einem Weidenkörbchen gefunden.
Effie verbarg ihr Antlitz hinter dem Taschentuch, und Kate sah ihr traurig zu. An einem Morgen wie diesem war ihr selbst zum Weinen zumute, denn sie musste ständig an ihre vergebliche Liebe denken. Sie fragte sich, wie es wohl wäre, eine richtige Mutter zu haben, der sie ihr Herz ausschütten könnte, um sich dann von ihr festhalten und über das Haar streichen zu lassen.
Kate hatte schon früh festgestellt, wo die Stärken und Schwächen ihrer Adoptivmutter lagen. Effie mochte ihr noch so viele Sachen zum Anziehen besorgen, gewisse Dinge konnte sie ihr einfach nicht geben. Kate würde immer die Stärkere von ihnen beiden sein. Deswegen trat sie auch jetzt zu der älteren Frau und nahm sie in die Arme. Ihre eigenen Augen brannten, aber sie weinte nicht. Schließlich hob Effie den Kopf und versuchte sich an einem Lächeln: »Ich weiß, woran es liegt. Du hast einfach noch nicht genug von der Welt gesehen. Wir sollten nach London reisen.«
»London?« Kate ließ ihre Pflegemutter los und starrte sie fassungslos an, während die schrecklichsten Erinnerungen in ihr hochkamen - an dreckige Straßen, Ratten in allen Ecken und hungernde Kinder. »Effie, London ist die letzte Stadt der Erde, in die ich reisen möchte.«
»Ich meinte ja auch nicht, dass wir zu diesem ... zu dieser furchtbaren ...« Die ältere Frau hatte es noch nie über sich gebracht, den Namen des Waisenhauses oder seiner Leiterin auszusprechen.
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