Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Henz
Vom Netzwerk:
Aufenthaltsraum. Er lief die Stufen hinunter und stellte fest, dass ihn seine Erinnerung nicht getäuscht hatte.
    Das Gewitter beruhigte sich, keine Blitze mehr, nur dicht fallende Regentropfen. Nick nahm seine Jacke und die Autoschlüssel. Die Maske und die Ketten legte er auf den Beifahrersitz. Dann lenkte er den Jeep auf die Hauptstraße und schlug die Richtung zum Fundort des Wikingerschiffes ein.
    Dort angekommen stieg er das Gerüst hinauf. Der Regen machte die Holzplanken glatt wie Eis und um ein Haar wäre er ausgerutscht. Vorsichtig ging er zum Hauptmast und blieb stehen. Die wenigen Minuten hatten ausgereicht, ihn bis auf die Haut zu durchnässen. Er hob sein Gesicht dem Regen entgegen und streckte seine Arme aus. In der rechten Hand hielt er die Maske, in der linken die Ketten.
    „Kaldak, wo immer du bist, ich folge dir. Du hast mir etwas gestohlen, und ich werde nicht ruhen, bis ich es wieder habe“, schrie er in den Regen. „Sei gewarnt, Kaldak, ich bin dir auf den Fersen.“
    Er schrie weiter. Flüche, Drohungen, Gebete, Beschwörungen. So lange, bis seine Kehle brannte und seine Stimme brach und sich seine Tränen mit dem Regen mischten.
    Plötzlich und ohne Vorwarnung zerriss ein Blitz die Wolken und tauchte die Regentropfen in funkelndes Licht. Aus dem Licht lösten sich die verschwommenen Konturen von drei Reitern. Sie blieben vor Nick stehen und der erste stieg ab. Er war in das abgewetzte Leder der Söldner längst vergangener Zeiten gekleidet. An seinem Handgelenk saß ein Bogenschutz aus stumpfem, fleckigem Metall, dem gleichen Material wie der Helm auf seinem Kopf. Die Dellen und Kratzer bewiesen, dass es sich um alles andere als modisches Beiwerk handelte.
    Nick war nicht wirklich erstaunt. Die Realität hatte einen Riss bekommen und die altbekannten physikalischen Gesetze galten nicht mehr. Wie sollte man sonst diesen fleischgewordenen Anachronismus erklären, der vor ihm stand? Eine Verkörperung der rauen nordischen Krieger, die die Sagas des Mittelalters bevölkerten.
    Nick sah ihn an, entdeckte die Furchen in den wettergegerbten Wangen und die grauen Fäden im dichten Barthaar. Sein Blick wurde von Augen erwidert, die alles Böse gesehen hatten, das es in dieser und in anderen Welten zu sehen gab.
    Der Mann streckte die Hand aus. „Hab Dank, dass du uns die Ketten überbringst. Wir haben nicht die Macht, in die Behausungen der Sterblichen einzudringen.“
    Nick betrachtete das schwere Silber. „Ich will zu Kaldak. Wenn ihr mich zu ihm führt, dann gebe ich euch die Ketten.“
    Sein Gegenüber schüttelte den Kopf. „Nein. Kaldak gehört uns. Wir haben einmal versagt, ein zweites Mal wird uns das nicht passieren. Gib mir die Ketten, sie sind das einzige Mittel, das ihn dauerhaft besiegen kann, denn er ist unsterblich. Sindri und Brokkr haben einen Zauber hineingewoben, der Kaldak bannt, sobald die Ketten ihn berühren.“
    Sindri und Brokkr waren die beiden Zwerge, die die Kette für Fenris geschmiedet hatten. Und Odins Ring, der sich jede Woche verachtfachte.
    „Nehmt mich mit“, wiederholte Nick. „Bitte.“
    „Du bist ein Sterblicher. Dorthin, wo Kaldak geht, können nur wir ihm folgen.“
    Nick spürte die Entschlossenheit hinter den Worten des Mannes. Wenn er ihm die Ketten nicht freiwillig gab, würde er sie sich nehmen. Die anderen beiden Männer saßen bewegungslos auf ihren Pferden, der Regen prallte von ihren Helmen ab wie Nicks Bitte an ihrem Anführer. Sie würden nicht lange fackeln, wenn es nötig sein sollte.
    Resignierend streckte er dem Mann die Ketten entgegen. „Kaldak hat eine Frau bei sich. Rettet sie. Für mich will ich nichts, aber bringt Tessa zurück.“
    Der Mann legte sich die Ketten über die Schulter und wandte sich ab. Nick wusste nicht, ob er seine Worte überhaupt gehört hatte. Er sah zu, wie der Reiter sein Pferd bestieg und die Zügel in die Hand nahm. „Dort, wo Kaldak sie hinbringt, kann sie nicht leben. Wir machen keine Versprechen, aber wir werden daran denken, wenn wir eine Möglichkeit sehen, deinen Wunsch zu erfüllen.“
    Damit gab er dem Pferd die Sporen und die drei Reiter jagten durch ihn hindurch in den Regen. Nick blickte auf die Maske in seinen Händen und ergab sich dem Gedanken, dass er wieder einmal versagt hatte.
     
    Kaldak zügelte sein Pferd. Nicht weit vor ihm rauschte Gjöll, der Fluss, der Hels Reich begrenzte. Das Tosen war bereits zu hören, ebenso wie das dumpfe Gebell von Garm, dem vieräugigen Hund, der den

Weitere Kostenlose Bücher