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Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Henz
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kompletten Länge.
    Tessa betrachtete die Fellstücke, die Nadel aus Horn und den dünnen Wollfaden. Warum hatte sie Meldis nicht widersprochen und war in der Küche geblieben? Bei den Töpfen und Pfannen hatte sie sich wesentlich wohler gefühlt. Sie blickte zu Meldis, die ein Fellstück, in das bereits kleine Löcher gestanzt worden waren, an den Saum hielt und mit schnellen Stichen festnähte.
    „Ich bin schon ganz aufgeregt, wegen des Festes. Und du?“, fragte sie, ohne aufzublicken.
    „Natürlich“, antwortete Tessa auf gut Glück und hoffte, damit nähere Informationen zu bekommen.
    „Unser Jarl will den Landaujarl noch einmal ordentlich beeindrucken, bevor er uns verlässt, das sag ich dir. Und wir alle werden uns den Bauch vollschlagen können mit Gebratenem. Vater hat gesagt, dass sie drei Tage hintereinander feiern wollen.“
    Ein Jarl war der Stellvertreter des Königs und der Herrscher über einen ganzen Landstrich. „Der Landaujarl soll berichten, wie gut wir hier alle leben und wie treu ergeben wir dem König sind. Nächstes Frühjahr wird unser Jarl mit seiner Flotte aufbrechen, um neue Eroberungen für König Harald zu machen.“
    Sie plapperte weiter, von Kleidern, Schmuck, von den Skalden, die den Besuch des Landaujarls besingen würden, von seinen Gefolgsmännern, die allesamt jung und unglaublich gutaussehend waren. „Wenn die Sonne am höchsten steht, müssen wir mit dem Mantel fertig sein, damit wir uns auf den Weg zur Jarlsfeste machen können. Ich will nicht zu spät kommen. Lieber soll Vater einen anderen Mantel wählen. Ich finde diesen hier ohnehin viel zu prahlerisch. Hoffentlich fühlt sich der Jarl nicht beleidigt. Was meinst du?“
    Tessa hatte nur mit halbem Ohr zugehört und stattdessen die Vorgänge rundherum auf sich wirken lassen. Spielende Kinder mit ihren Holzschwertern; Mägde, die mit Milcheimern aus den Ställen kamen oder mit Körben voller schmutziger Wäsche zum Fluss wanderten.
    „Wenn es ein so großes Fest sein soll, wird sich dein Vater schon etwas dabei gedacht haben. Und der Mantel ist einfach wunderschön.“ Sie hoffte, dass diese Antwort Meldis zufriedenstellte, und machte sich selbst hastig daran, ihre krummen Stiche fortzuführen. Natürlich war sie nicht so flink wie Meldis, aber glücklicherweise fiel das ihrem Gegenüber nicht auf. Zu sehr beschäftigte sie das kommende Fest.
    Nach dem Mittagessen, zu dem es warme Brotfladen mit gesalzener Butter gab, wurde ein großer Holzwagen von den Männern herbei gezerrt und ein Pferd davor gespannt. Arne kutschierte selbst, und sein ältester Sohn saß neben ihm, während Zora, mit den beiden Mädchen auf der Pritsche bei den anderen Platz nahm.
    Tessa hatte kein Zeitgefühl, sie schätzte, dass das Pferd gut drei Stunden über die unbefestigten Straßen zuckelte. Während der Fahrt kämmten die Mädchen das Haupthaar und die Bärte der Männer und frisierten sich schließlich auch selbst. Vorher hatten schon alle Festkleidung angelegt. Bernsteinketten, ziselierte Fibeln aus Silber und Bergkristall schmückten die Kleidung. Arnes Mantel lag sorgfältig gefaltet auf Zoras Schoß.
    Sie kamen an anderen Siedlungen vorbei, und kurz bevor sie die Jarslfeste erreichten, fuhren sie mit zahlreichen neu dazugekommenen Wagen im Konvoi. Das Fest musste tatsächlich etwas Besonderes sein, wenn von nah und fern Gäste eintrafen.
    Die Feste selbst bestand aus einem guten Dutzend gewaltiger Langhäuser samt Nebengebäuden, die durch einen Verteidigungswall geschützt wurden. Die ganze Anlage befand sich direkt am Meer und schon bei der Anfahrt sah Tessa die Flotte der Drachenboote im Hafen liegen.
    Die Wagen mussten vor dem Wall halten und alle Passagiere zu Fuß in die Feste marschieren. Schon von hier hörte man die Spielleute musizieren. Auf dem weiten Platz zwischen den Häusern standen Holztische und Bänke. Über zwei Feuerstellen brieten Wildschweine am Spieß und etliche Fässer Bier standen bereit. Mägde schenkten bereits eifrig an die Anwesenden aus. Der Tisch des Jarls stand auf einem Podium, sichtbar für alle. Zusätzlich machte ein mächtiger, mit aufwendigen Schnitzereien verzierter Stuhl – eigentlich schon ein Thron – seine Stellung klar.
    Noch war dieser Stuhl allerdings frei.
    Tessa hielt sich unauffällig an Meldis, die sich unter die Gäste mischte und mit ihnen lachte. Immer wieder wurde sie freudig begrüßt und nach einer Weile scharte sich eine Gruppe junger Männer um sie. Meldis schäkerte mit

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