Stachel der Erinnerung
in der Stimme seines Sohnes gefiel ihm. »Ja ...
na ja, das kann ja sein. Jessica ist äußerst lebhaft. Vielleicht würde doch ein
anderer besser zu ihr passen ... jemand wie zum Beispiel dein alter Freund aus
der Schulzeit, St. Cere.«
»St. Cere!«
»Warum
nicht? Der Mann ist ein gutaussehender Teufel. Er ist wohlhabend genug, und
wenn die Gerüchte stimmen, braucht man sich über seine Fähigkeiten im Bett
keine Sorgen zu machen. Jessica betet Kinder an, und ich würde liebend gern
noch lang genug leben, um mindestens ein Enkelkind von ihr zu sehen. St. Cere
würde ihr sicher ein ganzes Haus voller Kinder bescheren.«
Matthews
Gesicht sah aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Ich kann es nicht
glauben, daß du Adam Harcourt in Erwägung ziehen kannst. Der Mann ist der
schlimmste Wüstling. Abgesehen von dem Skandal, über den man sich die Mäuler
zerreißt, verbringt er die Hälfte der Zeit mit seinen Geliebten und die andere
Hälfte beim Spiel. Und du kannst sicher sein, der Vicomte spielt hoch.«
»Und er
gewinnt meistens, wie ich gehört habe. Außerdem kann ein Mann sich ändern. Ehe
ich deine Mutter kennenlernte, war ich auch als ziemlicher Leichtfuß bekannt.«
»Ja, aber
St. Cere ist anders. Er ist ein grober Wüstling, und wenn es um Frauen geht,
ist er rücksichtslos. Außerdem ist er ein eingeschworener Junggeselle. Seine
Ehe hat in einer Katastrophe geendet, und er hat geschworen, sich nie wieder
einfangen zu lassen.«
Reggie
neigte den Kopf und deutete zur Tanzfläche. »Vielleicht hat er ja seine
Meinung geändert.«
Neben ihm
erstarrte Matthew Der große, dunkle Vicomte St. Cere tanzte gerade eine Rondele
mit Jessie, die ihn anlächelte. Reggie war allerdings alles andere als erfreut
darüber, obwohl er bemüht war, sich das vor Matthew nicht anmerken zu lassen.
Der Mann hatte einen schlimmen Ruf, und Reggie würde ihn keinen Augenblick lang
als Heiratskandidat für sein bezauberndes Mündel in Erwägung ziehen. Doch der
Ausdruck in Matthews Gesicht war jeden Augenblick dieser List wert.
Er musterte
seinen Sohn und sagte begeistert: »Du siehst, mein Junge, Jessica sprengt alle
Möglichkeiten.«
Matthew
blickte noch verkniffener. »Wenn du nicht willst, daß ihr Name ruiniert wird,
dann würde ich vorschlagen, solltest du ihre Verbindung mit St. Cere
unterbinden, ehe sie richtig beginnt.«
Reggie
zwang sich, die Stirn zu runzeln. »Vielleicht hast du ja recht, Matthew.
Vielleicht ist er doch nicht der Mann, den wir ermuntern sollten. Obwohl –
nachdem sie sich so gut verstehen, weiß ich nicht recht, wie ich das anstellen
soll.« Er seufzte übertrieben dramatisch. »Wenn dieser Mann Jessica gefällt, dann
wird es verflixt schwer sein, ihn ihr wieder auszureden. Sie kann ziemlich
verbohrt sein, wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hat.«
»Das
bezweifle ich keinen Moment«, antwortete Matthew düster. Er sah mit
Erleichterung, daß der Tanz zu Ende war und die beiden sich trennten. »Mach dir
keine Sorgen wegen St. Cere«, beruhigte er seinen Vater. »Bei der ersten
Gelegenheit werde ich selbst mit ihm reden. Wenn er erst einmal begreift, daß
dieses Mädchen unter meinem Schutz steht, dann wird er sie in Ruhe lassen.«
Sein finsteres Gesicht sagte, daß er dem Vicomte das raten würde, denn sonst
wäre die Hölle los.
Reggie
fühlte, wie sich ein erneutes, triumphierendes Lächeln um seinen Mund kräuseln
wollte, doch er unterdrückte es weise.
8
Jessie stand an der Terrassentür, die in
den kleinen Garten von Lord Montagues Stadthaus führte. Eine kühle Brise wehte
in den Raum, die Nachtluft duftete nach Damaszenerrosen. Es wäre nicht
schicklich, wenn sie jetzt einfach verschwinden würde, aber sie sehnte sich so
sehr danach, einen Augenblick allein zu sein.
Parties und
Bälle, ein Abend in der Oper, Feuerwerk in den Vauxhall-Gärten, das Theater in
der Drury Lane – es war wie ein Wunder, die Tage und Nächte in London waren all
das, was sie sich je erträumt hatte. Es war ein sprühendes Vergnügen, aber es
war auch äußerst anstrengend.
Nach den
ersten Tagen dieser gesellschaftlichen Ereignisse hatte sie sich kaum mehr
Sorgen darüber gemacht, daß jemand ihre wahre Identität entdeckte. Der Marquis
von Belmore war ein sehr mächtiger Mann. Die Geschichte über die Vormundschaft
der Tochter eines entfernten Cousins wurde ohne Frage akzeptiert, genau wie
damals, als er sie in der Schule angemel det hatte. Und die Unterstützung von
Lady Bainbridge
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