Stachel der Erinnerung
Schnurrbart ab. »Das ist mein Fehler, Lord Strickland«,
sagte sie in die angespannte Stille. »Ich wollte unbedingt dorthin. Ihr dürft
Jessie deswegen keinen Vorwurf machen.«
Matthews
wütender Blick schoß zu Gwen. »Ich würde vorschlagen, Lady Gwendolyn, daß Ihr
Euren hübschen Mund haltet und Eure Gedanken – wie unterhaltsam sie auch sein
mögen – ausschließlich für Euch behaltet.«
Natürlich
tat sie das nicht. »Jessica hat aber versucht, mich davon abzubringen. Sie
wußte, daß ich gehen würde, ob sie nun mitkam oder nicht. Sie hat mir
widerwillig geholfen, das herauszufinden, was ich wissen mußte.«
Mit eisigen
blauen Augen musterte er Jessie. »Wenn Ihr Euren Freunden helft, Mistress Fox,
indem Ihr sie in Gefahr bringt, dann werdet Ihr sicher nicht viele Freunde
haben.«
Jessie
preßte die Lippen aufeinander. Sie hatte versucht, Gwen zu beschützen, und
nicht, sie in Gefahr zu bringen. Aber das würde Matthew niemals verstehen.
Sein Zorn
wuchs. »Ich sollte Euch übers Knie legen.« Er verzog den Mund. »Es wäre ja
nicht das erste Mal – wie Ihr Euch sicher erinnern werdet. Falls nicht, dann
wäre eine weitere Tracht Prügel sicher eine gute Art, Eure Erinnerung wieder
aufzufrischen.«
Jessie
wurde über und über rot. Wie hätte sie nur den beschämendsten Augenblick ihres
ganzen Lebens vergessen können?
»An dem Tag
trugt Ihr auch Hosen«, erging er sich in grausamer Deutlichkeit. »Ich habe
Euch damals die Tracht Prügel verpaßt, die Ihr verdient hattet. Aber
offensichtlich hat das nicht sehr viel genützt. Vielleicht würdet Ihr heute
abend Eure Lektion ein wenig besser lernen.«
Jessies
Gesicht hatte die Farbe einer sonnengereiften Tomate angenommen. Doch sie hob
energisch das Kinn. »Ich bin kein Kind mehr, Mylord. Ihr könnt mir nicht sagen,
was ich zu tun habe, und Ihr könnt mir auch nicht mehr drohen!«
Er blickte
anzüglich auf ihren Po, der durch die modisch enge Hose noch betont wurde. »Es
gibt nur sehr wenig, Miss Fox, was ich nicht wagen würde.«
»Also, Ihr
...« Sie wollte mit ihm streiten, doch dann erkannte sie den entschlossenen
Ausdruck in seinem Gesicht und zog es vor, den Rest ihrer Anklage
herunterzuschlucken. Er würde zur Tat schreiten, das erkannte sie deutlich,
wenn sie ihn noch einen Augenblick länger reizte. Er war stark genug – und ganz
sicher auch wütend genug. Sie kauerte sich auf ihrem Sitz zusammen und
wünschte, sie könnte von der Erdoberfläche verschwinden.
Matthew
lenkte seine Aufmerksamkeit auf Gwen. »Und Ihr, Lady Gwendolyn, Euch ist doch
sicher klar, daß ich Lord Waring davon erzählen muß.«
Gwens
hübsches Gesicht verzerrte sich. All ihr Mut war mit einem Schlag wie
weggeblasen. »Bitte, Mylord, ich flehe Euch an. Ich werde alles tun, was Ihr
wollt, aber bitte, erzählt nichts davon meinem Stiefvater.«
»Ich
fürchte, ich habe keine andere Wahl. Ich muß Euch nach Hause bringen, und wenn
ich das tue, muß ich es ihm sagen.«
Gwen schien
vor Jessies Augen in sich zusammenzusinken. Jessies Herz flog ihr entgegen,
weil sie den Grund dafür kannte. Verzweifelt griff sie nach Matts Arm. »Bitte,
Mylord, Gwen wollte doch nur wissen, wie es an so einem Ort aussieht. Sie
schreibt ein Buch, müßt Ihr wissen. Ihr Traum ist es, Schriftstellerin zu
werden. Sie wollte niemandem ein Leid antun, und es ist doch auch nichts
Außergewöhnliches geschehen. Nur dieses eine Mal könntet Ihr ...«
»Nein,
Jessie, ich fürchte, das kann ich nicht. Da ich jetzt mit der Sache zu tun
habe, bin ich auch für Gwendolyns Wohlergehen verantwortlich. Es ist meine
Pflicht, zu ...«
»Pflicht!
Das ist alles, woran Ihr je denkt – an Eure Pflicht und Eure verdammte Ehre!
Ihr hattet noch nie einen Traum, Ihr begreift
nicht, wie es ist, wenn man sich etwas von ganzem Herzen wünscht!«
»Jessie –
Lord Waring muß darüber Bescheid wissen. Es ist nur in Gwens bestem Interesse.«
»Ach, Ihr
versteht gar nichts – wenn Ihr es ihm sagt, wird er sie schlagen. Er wird sie
mit dem Rohrstock schlagen, bis sie nicht mehr gehen kann. Ihr ganzer Rücken
samt ihrem Gesäß ist übersät mit Narben. Es macht ihm Spaß! Woher, glaubt Ihr,
hat sie wohl von dem Fallen Angel gewußt? Sie hat gehört, wie er davon geprahlt
hat, was dort alles so vor sich geht. Er ist genau wie all die Männer aus dem
Black Boar Inn. Sie haben die gleichen Dinge mit Mama getan!« Jessie schlug
sich erschrocken auf den Mund. Vor lauter Zorn hatte sie ihr beschämendstes
Geheimnis
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