Stachel der Erinnerung
wie Eure Stiefmutter Euren Vater
geküßt hat. Ihr wolltet wissen, wie so ein Kuß sich anfühlt.«
»Und Ihr
habt es zugelassen? Das überrascht mich sehr, Lady Caroline.«
Wieder
lachte sie. »Das war wohl kaum eine Sache, die ich zulassen konnte. Ihr habt
den Kuß gestohlen, Mylord. Könnt Ihr Euch eigentlich erinnern, daß Ihr
irgendwann mal nicht das bekommen habt, was Ihr unbedingt haben wolltet?«
Ja, dachte
er, und Jessies zartes Gesicht erschien vor seinem inneren Auge. Er wollte
Jessica Fox. Er wollte sie lieben, mit einer verzweifelten Sehnsucht, die
schon beinahe an Besessenheit grenzte.
Es war das
einzige, was er nicht haben konnte.
Er zwang
sich zu einem Lächeln. »Zeit mit Euch allein, meine bezaubernde Lady, ist
etwas, was ich mir sehnlichst wünsche, aber was ich offensichtlich nicht haben
kann.«
»Die wird
schon noch kommen, früh genug, nämlich dann, wenn die Angelegenheit unserer
Verlobung erledigt ist.« Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Das wird nicht mehr
so lange dauern – nicht wahr, Matthew?«
Er
räusperte sich. »Es ist schwer, das mit Sicherheit zu sagen, aber ich hoffe,
daß es schon sehr bald sein wird.«
Sie
entspannte sich. »Vater wird sicher weitaus duldsamer sein, wenn der
Hochzeitstermin erst einmal festgelegt ist. Er vertraut Euch, Matthew –
unbedingt. Er möchte nur nicht, daß es Anlaß zu grundlosem Klatsch gibt.«
Wieder
drängte sich Jessie in seine Gedanken, wie sie in der Spielhölle in der Jermyn
Street gesessen hatte. Sie kümmerte sich keinen Deut um Klatsch. Aber
vielleicht war er ihr gegenüber nicht fair. Vielleicht war es wirklich so, wie
Gwen Lockhart behauptet hatte, und Jessie war nur mit ihrer Freundin gegangen,
um sie zu beschützen. Diese Charaktereigenschaft hatte er schon früher an ihr
entdeckt.
Zum ersten
Mal gab er vor sich selbst zu, wie anziehend sie ausgesehen hatte in ihrer
Verkleidung als Dandy. Doch diesmal, statt Zorn darüber zu empfinden, was sie
getan hatte, mußte er innerlich lächeln. Gütiger Himmel, diese Frau besaß mehr
Talent, jemanden an der Nase herumzuführen, als der einfallsreichste Mann
seiner Mannschaft.
»Matthew?
Habt Ihr gehört, was ich gerade gesagt habe?«
Sein Kopf
fuhr hoch, und er wandte schuldbewußt seine Aufmerksamkeit wieder Caroline zu.
»Es tut mir leid, meine Liebe. Meine Gedanken sind gewandert.«
»Ich sagte,
mir ist klar, daß Euer Urlaub bald vorüber ist. Ich habe mich gefragt, ob Ihr
wohl am nächsten Wochenende die Gesellschaft auf Lord Pickerings Landsitz
mitmachen werdet. Mein Vater hat mit Lord Belmore gesprochen, und der Marquis
hat versichert, daß er und Miss Fox ganz sicher dort sein würden.«
Matt wußte
von dem Fest. Er hatte versucht, seinen Vater von der Teilnahme abzuhalten,
doch der alte Herr war entschlossen hinzugehen. Und das bedeutete, da er Jessie
nicht zutraute, sich zu benehmen, daß er als Aufsicht mitgehen mußte.
»Ich habe
vor teilzunehmen. Und ich freue mich, daß Ihr auch kommen werdet.« Er lächelte.
»Wenigstens bin ich dann auf angenehmste Weise abgelenkt.« Er nahm ihre behandschuhte
Hand zwischen seine Hände. »Vielleicht werde ich dort versuchen, Euch einen Kuß
zu rauben.«
Leichte
Röte stieg in ihre Wangen. Sie war wirklich bezaubernd. Auf eine andere,
weniger eindrucksvolle Art war sie genauso schön wie Jessie. Er legte eine
Hand an ihre Wange, und ihre Röte vertiefte sich noch und weckte in ihm eine
zärtliche Zuneigung. Er hatte in den letzten Jahren nicht sehr viel Zeit mit
Caroline verbracht, doch er hatte sich in ihrer Nähe immer wohl gefühlt.
Caroline Winston war all das, was er sich von einer Frau wünschte. Sie war
angenehm, wohlerzogen und sanft. Er konnte sie sich sehr gut als seine Ehefrau
vorstellen.
Doch als er
sie jetzt betrachtete, hatte er das Gefühl, daß etwas fehlte. Bis zu diesem
Augenblick war es ihm nie klargeworden, daß
die Frau, die er heiraten würde, in ihm nicht die Art der Leidenschaft weckte,
die Jessie mit nur einem einzigen Blick entfachte. Jetzt wünschte er sich, daß
ihn nach Caroline Winston auf die gleiche lustvolle Art verlangte wie nach
Jessie.
Er
versuchte, sich Caroline in seinem Bett vorzustellen, herrlich nackt, wie sie
sich unruhig unter ihm bewegte, wie sie ihn bat, sie zu nehmen. Doch statt
braunem Haar auf den Kissen sah er vor seinem inneren Auge blondes Haar. Statt
Carolines sanfter, rosiger Lippen sah er Jessies sinnlichen Mund mit den roten
Lippen, die feucht waren von seinen
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