Stachel der Erinnerung
seines Vaters, bei der Hochzeit
dabeizusein, war eigentlich keine Bitte. Zwischen den Zeilen gelesen, war es
ein direkter Befehl seiner Vorgesetzten.
Man befahl ihm, der Hochzeit des Herzogs von Milton beizuwohnen. Als Verbündete
übten sein Vater und der Herzog eine beträchtliche Macht aus. Als Kapitän der
Marine Seiner Majestät konnte er dagegen nichts ausrichten.
Er riß eine
Schublade seines Schreibtisches auf und holte den Brief hervor, den er seinem
Vater hatte schicken wollen, den Brief, in dem er um Jessies Hand anhielt. Er
zerriß ihn einmal, zweimal und noch einmal. Die Schnipsel warf er wütend in den
Papierkorb.
Mit großen
Schritten ging er zu seiner Koje und holte seinen Koffer darunter hervor. Der
Kommandant der Korvette würde warten. Matt war sicher, daß er den Auftrag
hatte, ihn nach London zu bringen. Der Mann wußte zweifellos, daß Kapitän
Seaton zu ihm an Bord kommen würde.
Matt war
unschlüssig, ob er sein Schicksal verfluchen – oder ob er Gott danken sollte,
daß er ihn vor einer Frau wie Jessie Fox bewahrt hatte.
12
Seit
zwei Wochen lebten
sie jetzt in London, und alles ging unter in einem Wirbelwind von
Vorbereitungen.
»Jessica
kann unmöglich in einer solch kurzen Zeit heiraten«, hatte Lady Bainbridge
geschimpft. »Reginald, was um alles in der Welt hast du dir dabei nur
gedacht?« Als sie dann jedoch feststellte, daß er finster entschlossen war und
der Herzog offensichtlich damit einverstanden – vielleicht sogar froh war darüber
–, hatte sie sich schließlich bereit erklärt zu helfen.
Von diesem
Tag an hatte Jessie keinen Augenblick mehr für sich selbst gehabt. Wenn sie
nicht gerade hinter der Witwe her durch die Geschäfte hetzte, um alles zu
kaufen – von mit Federn besetzten Hauben bis hin zu seltenen Parfüms –, stand
sie stundenlang bewegungslos, weil sie die Kleider für ihre Aussteuer
anprobieren mußte, eine riesige Anzahl von Roben, die noch eleganter
waren als die, die sie bereits besaß. Eine Herzogin, gekleidet mit höchster
Extravaganz; mit weniger würde man sich nicht zufriedengeben.
Mit jedem
Nadelstich litt sie, all ihre Muskeln schmerzten vom langen Stehen, ihre Füße
taten ihr weh, und sie begann sich zu fragen, ob ihr Traum, eine Lady sein zu
wollen, nicht zu einem Alptraum geworden war.
Während der
Reise von Belmore fort und in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft in London war
sie um Papa Reggies Gesundheit besorgt gewesen. Immerhin war das der Grund für
ihre übereilte Hochzeit. Glücklicherweise hatte sich sein Zustand nicht
verschlechtert. In der Tat war er ein wenig kräftiger geworden. Sie wohnten im
Stadthaus der Belmores und waren wieder eingebunden in die Aktivitäten der
Gesellschaft. Sie besuchten Bälle, Soiréen, das Theater und die Oper, meistens
zusammen mit Lady Bainbridge und oft in der Gesellschaft des Herzogs.
Er war ein
freundlicher junger Mann, hatte Jessie festgestellt. Er besaß ein angenehmes
Wesen und versuchte ständig, ihr zu gefallen. Leider war das Wort jung die
beste Beschreibung für ihn. Auch wenn Jeremy fünf Jahre älter war als Jessie,
so hatte er doch ein so behütetes Leben geführt, daß er eher wie ein Knabe denn
wie ein Mann wirkte.
Das machte
die Gegenüberstellung zwischen ihm und Matthew noch bedrückender. Jessie
versuchte, nicht darüber nachzudenken, versuchte, die beiden als Einzelpersonen
zu betrachten. Sie bemühte sich, Jeremys schlankes, jugendfrisches Gesicht
nicht mit Matthews männlichem, kantig-attraktivem Antlitz zu vergleichen, und
manchmal gelang ihr das sogar.
Es gab
jedoch häufiger Zeiten wie jetzt, drei Nächte vor der Hochzeit, wo sie vor dem
Spiegel neben Vi stand und sich für das Abendessen ankleidete. Unentwegt dachte
sie an Matthew und wünschte sich nichts sehnlicher, als daß er derjenige wäre,
den sie so eilig heiraten sollte.
Oder sie
wünschte sich, überhaupt nicht zu heiraten.
»So schlimm
wird es nicht werden, Liebes.« Viola tätschelte ihre Schulter. »Du solltest
dich glücklich schätzen und nicht an die Dinge denken, die du nicht haben
kannst.«
Jessie lächelte
traurig. »War es so offensichtlich, woran ich gedacht habe, Vi?«
»Nur für
mich, Liebes. Ich kenne dich lange genug, um zu wissen, was dich bewegt.«
Jessie
seufzte. »Ich weiß, du hast recht. Ich sollte glücklich sein, einen Mann wie
den Herzog heiraten zu dürfen. Er ist freundlich und liebevoll, er ist
großzügig ... ich glaube, es gibt nichts, was Jeremy nicht für mich tun
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