Stachel der Erinnerung
soweit.
»Glaubt
Ihr, daß die Franzosen hierher unterwegs sind?«
»Keine
Ahnung«, antwortete Matt. »Aber es würde mich nicht überraschen.« Im Grunde
genommen wünschte er sich, daß sie kommen würden. Auf die eine oder andere Art
wäre dann seine Zeit in der Marine beendet.
Die
Fregatte kam um die Mittagszeit. Sie lieferte neue Verpflegung für die
Offiziere, frisches Gemüse, Eier und Käse. Doch das Brisanteste, was sie
brachte, war ein persönlicher Brief für Matt.
Matthews
Brust war eng, als er den Umschlag die Leiter hinunter zu seinem Quartier
trug. Er schloß die Tür hinter sich, zog seine Jacke aus und setzte sich. Der
Brief trug das Siegel von Belmore.
Seine Hände
zitterten, als er ihn öffnete. Die Marine schickte normalerweise keinen
Extra-Kurier, es sei denn, es handelte sich um eine ernste Angelegenheit. War
seinem Vater etwas zu gestoßen? Es war fast zwei Monate her, seit er England
verlassen hatte. Auf der Reise von Benhamwood nach Belmore war der Marquis
sehr blaß und erschöpft gewesen. Doch wenn man bedachte, welchen Schrecken das
Feuer bei ihnen allen ausgelöst hatte, war das verständlich. Matt war sicher
gewesen, daß sich seine Gesundheit wieder bessern würde, wenn der alte Herr
erst einmal zu Hause war.
Er faltete
das Pergament auseinander und begann herzklopfend, den Brief zu lesen. Als er
die schwungvolle Schrift seines Vaters erkannte, atmete er erleichtert auf. Der
Marquis lebte also offensichtlich. War etwas mit Jessie geschehen? Die Anspannung
erfaßte ihn erneut. Der Himmel allein wußte, daß bei ihrem Wagemut ...
Die Gedanken
wirbelten in seinem Kopf, als er die Worte überflog, Sorge und Ungläubigkeit
spiegelten sich in seinem Gesicht, schmerzliche Enttäuschung und schließlich
Zorn.
»Verdammter
Kerl! Er soll zur Hölle fahren!« Er verfluchte sie beide, Jessie dafür, daß sie
so habgierig war – wo er doch gerade zu dem Schluß gekommen war, daß sie diese
schlechte Eigenschaft nicht besaß –, und seinen Vater dafür, daß er seinen
beträchtlichen Einfluß auf sie dazu benutzt hatte, seinen Willen durchzusetzen.
Er starrte
auf den Brief.
Lieber
Matthew!
Es macht
mich sehr glücklich, Dir mitteilen zu können, daß Jessica den Heiratsantrag
Seiner Ehren, des Herzogs von Milton, angenommen hat. Wegen der Sorge um meine
Gesundheit wird die Hochzeit schon in einem Monat stattfinden, in London, in
der St. James Cathedral. Deine vorgesetzten Offiziere sind damit
einverstanden, daß Du einen kurzen Urlaub bekommst, damit Du der Hochzeit
beiwohnen kannst. Um Jessicas willen ist es unbedingt notwendig, daß Du dabei
bist. Wir müssen dem Herzog und dem Rest der Gesellschaft zeigen, daß Jessica
die völlige und uneingeschränkte Unterstützung der Belmores hat.
Ich
freue mich wie immer auf Deine Ankunft.
Mit der
größten Zuneigung
Dein
Vater,
der Marquis von Belmore
Matthew zerknüllte den Brief
zähneknirschend und warf ihn in den Papierkorb unter seinem kleinen
Eichenschreibtisch. Die Hälfte der Mannschaft hatte sein Gesicht gesehen, als
er den Umschlag in Empfang genommen hatte. Sie rechneten wohl auch damit, daß
irgend etwas Schlimmes geschehen sein mußte.
Er biß die
Zähne zusammen, bis seine Kiefer schmerzten. Aber vielleicht war ja das
Gegenteil passiert – vielleicht war er gerade vor der größten Dummheit seines
Lebens bewahrt worden.
Er sprang
so heftig von seinem Stuhl auf, daß dieser beinahe umfiel. Er fing ihn auf, ehe
er den Boden erreichte, rückte ihn gerade und schob ihn unter den Schreibtisch.
Dann lief er mit großen Schritten vor dem mit Eichenholz verkleideten Kamin hin
und her. Das Quartier des Kapitäns auf den Schiffen dieser Linie war elegant
eingerichtet und geräumig. Aber in diesem Augenblick schien es ihm klein,
beengend und so erstickend, daß er kaum atmen konnte.
Er ging
durch die Kabine und öffnete eines der Bullaugen. Doch die leichte Brise, die
hereinkam, brachte ihm keine Linderung. Er ging zum Schreibtisch zurück,
wühlte im Papierkorb, holte den Brief wieder heraus und strich ihn glatt. Er
blickte auf das Datum des Briefes und stellte fest, daß er schon vor drei
Wochen geschrieben worden war.
Die
Korvette lag noch immer neben der Norwich und wartete auf seine
Antwort. Er sollte seinem Vater schreiben, daß sowohl er als auch Jessie zum
Teufel gehen sollten – daß sie ihn wohl kaum dazu brauchten, wenn Jessie einen
anderen Mann heiraten wollte.
Doch das
würde er natürlich nicht tun, denn die Bitte
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