Stachel der Erinnerung
und tätschelte ihre Hand. Ihre Finger waren eiskalt. »Ich weiß,
daß du unsicher bist, daß du am liebsten jetzt noch nicht heiraten würdest.
Wenn die Dinge anders lägen, bestünde auch kein Grund zur Eile.«
»Du meinst
wohl, wenn meine Herkunft eine andere wäre, wenn es nicht ständig das Risiko
gäbe, daß jemand etwas herausfinden könnte?«
»Ich
fürchte ja, meine Liebe.«
»Ich muß es
wissen, Papa Reggie. Was würde geschehen, wenn die Wahrheit ans Licht kommt?
Wenn der Herzog mein Ehemann wäre ...
»Aber
verstehst du das denn nicht, meine Liebe? Genau darum geht es doch. Der Herzog
von Milton mag zwar noch sehr jung sein, aber sein Reichtum und seine Macht
sind unermeßlich. Selbst wenn deine Vergangenheit offenbart würde, wäre er in
der Lage, dich zu beschützen. Niemand würde es wagen, seine Wahl für dich als
Ehefrau in Frage zu stellen oder etwas Unpassendes über dich zu sagen.«
Jessie
schluckte schwer. Es dauerte lange, ehe sie sprach. »Wenn ... wenn ich den
Antrag des Herzogs annehme ... wenn ich damit einverstanden bin, seine Frau zu
werden ... wie lange würde es dauern, bis wir heiraten würden?«
Reggie
seufzte. Er wünschte, er könnte ihr mehr Zeit geben, damit sie sich an diesen
Gedanken gewöhnen könnte. Doch das wagte er nicht. »Ich fürchte, je eher, desto
besser. Wenn mir etwas zustoßen sollte, ehe du angemessen versorgt bist, dann
würde ich in meinem Grab keine Ruhe finden.«
»Nichts
wird dir zustoßen – das werde ich nicht zulassen!«
Er drückte
sanft ihre Hand, die sie zur Faust geballt hatte. »Ich bin sicher, daß du recht
hast. Aber die Möglichkeit besteht. Als der Herzog hier war, haben wir über
die Notwendigkeit gesprochen, die Sache zu beschleunigen, falls du seinen Antrag
annehmen solltest, und er hat mir darin zugestimmt.«
Jessica
senkte den Kopf. Er sah das leichte Zittern, das durch ihren Körper ging. Als
sie wieder aufblickte, schimmerten Tränen in ihren Augen. »Jeremy ist
intelligent und freundlich«, flüsterte sie. »Ich denke, er würde ein guter
Ehemann sein.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich werde seinen Antrag mit
Freuden annehmen. Eine Frau wäre ein absoluter Dummkopf, wenn sie den Herzog
von Milton nicht heiraten wollte.«
Der Marquis
entspannte sich etwas. »Sehr richtig, meine Liebe. Ich bin froh, daß du die
Bedeutung dieser Entscheidung begreifst.«
Sie ließ
seine Hand los und stand auf. »Da all diese Dinge neu für mich sind, werde ich
die Einzelheiten dir überlassen, wenn du nichts dagegen hast. Vielleicht könnte
Lady Bainbridge behilflich sein.«
»Natürlich
wird sie das. Corney wird begeistert sein von dieser Neuigkeit.«
Das allzu
strahlende Lächeln verließ Jessies Gesicht nicht. »Dann werde ich jetzt gehen.
Ich möchte es gern Viola sagen. Ich bin sicher, sie wird sich genauso freuen.«
Sie gab ihm einen Kuß auf die Wange. »Ruh dich aus, Papa Reggie. Ich werde noch
einmal nach dir sehen, ehe ich schlafen gehe.«
Er nickte
stumm. Er hatte das getan, was das beste war, wozu ihn seine schwindende
Gesundheit zwang. So hatte er sich den Gang der Dinge nicht gewünscht, doch
Matthews Halsstarrigkeit hatte dem Vorschub geleistet.
Seine
Gedanken wanderten zu seinem Sohn. Wahrscheinlich würde am Ende Matthew den
höchsten Preis für seine Verbohrtheit bezahlen müssen.
Eine rauhe
See kippte die Norwich in ein weiteres
tiefes Wellental. Die Sonne versteckte sich hinter einem schiefergrauen Himmel, der
noch stärkeren Sturm verhieß. Leichter Nebel waberte um das Schiff und setzte
sich auf die wollene Kleidung der Matrosen. Im Steuerhaus stand Matt neben dem
riesigen Steuerrad aus Teakholz. Er blickte auf, als Graham Paxton den Raum
betrat.
»Ich höre,
daß wir ein Signal erhalten haben. Offensichtlich werden wir bald Besuch
bekommen.«
Matt
nickte. »Das Zeichen kam von der Dreadnought.« Das war das Schiff in der
Reihe der Blockade, das der Norwich am nächsten war. »Eine unserer
Korvetten ist auf dem Weg hierher, die Weazel aus Plymouth.«
»Vielleicht
bringt sie Neuigkeiten über den Kriegsverlauf.« Die kleineren Schiffe bedienten
die größeren. Sie brachten Nachrichten, Briefe und Verpflegung.
»Vielleicht.«
Er verriet Graham nicht, daß dieses Schiff, wenn es nach Plymouth zurückkehrte,
ein wichtiges Schriftstück von ihm mitnehmen würde. Der Brief an seinen Vater
lag nach wie vor auf seinem Schreibtisch. Bis jetzt hatte er noch keine
Gelegenheit gehabt, ihn abzuschicken.
Nun war es
endlich
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