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Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kat Martin
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sie so hart auf dem Boden aufgeschlagen war.
    Sie merkte
nicht, daß er ihr folgte, bis sie plötzlich stolperte und er nach ihrem Arm
griff.
    »Ihr habt
recht. Es war sehr unhöflich von mir, mich nicht nach Eurem Befinden zu
erkundigen.«
    Sie entriß
ihm ihren Arm. »Es geht mir blendend, vielen Dank.«
    »Was ist
mit Eurem Bein? Gerade habt Ihr noch gehumpelt.«
    »Mein Bein
ist völlig in Ordnung«, versicherte sie ihm würdevoll. Sie kehrte ihm den
Rücken zu und war bemüht, den Schmerz beim Weiterlaufen zu verbergen. Er
runzelte die Augenbrauen, sagte jedoch nichts. Während Jessie kerzengerade ins
Haus ging, spürte sie Graf Stricklands mitternachtsblaue Augen hinter sich. Sie
fragte sich, was er wohl von ihr dachte. Doch so schmutzig und abgerissen, wie
sie aussah, war es nicht schwer, sich das vorzustellen.
    Viola
wartete in ihrem Zimmer. »Wir müssen uns beeilen«, rief sie. »Der Kapitän ist
schon angekommen, und ...« Sie hielt inne, als sie Jessie erblickte, und ihre
Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Bei allen Heiligen im Himmel! Mein armes
kleines Lämmchen, was um alles in der Welt ist geschehen?«
    Jessie sank
in sich zusammen. »Was geschehen ist? Stell dir das Allerschlimmste vor, Vi.
Stell dir vor, ich bin von meinem Pferd gefallen und in einer Pfütze genau zu
Füßen von Kapitän Seaton gelandet. Und stell dir weiter vor, daß er mich
natürlich sofort in dieser schmutzigen, zerlumpten Kleidung erkannt hat.«
    »Gütiger
Gott im Himmel.«
    Jessie war
verzweifelt. »Ich wollte ihn beeindrucken, Vi. Ich wollte ihm zeigen, daß ich
mich wirklich geändert habe.« Tränen brannten in ihren Augen. »Statt dessen
habe ich ihm das Gegenteil bewiesen. Wie kann ich ihm jetzt noch gegenübertreten?
«
    Die ältere
Frau stützte die Hände in die Hüften. »Du kannst ihm gegenübertreten, Liebes,
denn du hast dich wirklich geändert. Du wirst zum Abendessen gehen, in diesem
wunderschönen blauen Seidenkleid, und du wirst die Rolle der Lady spielen,
bis Seine verdammte Lordschaft sich zu wundern beginnt, ob das Wesen, das er im
Schlamm gesehen hat, nicht eine Halluzination gewesen ist.«
    Jessie
schluckte schwer und betrachtete das herrliche blausilberne Kleid, das am
Schrank hing. Bis Papa Reggie sich ihrer angenommen hatte, hatte sie solche
Kleider nur durch die Fenster des Herrenhauses von Seaton gesehen – nämlich
dann, wenn sie sich hinter den Rosenbüschen versteckt und ihr Gesicht gegen
die Fenster gedrückt hatte. Sehnsüchtig hatte sie sich gewünscht, diesen
glänzenden Stoff einmal berühren zu dürfen, die glatte, glänzende Seide auf
ihrer Haut fühlen zu können. Doch alles, was sie damals gefühlt hatte, waren
die Schrammen an ihrer Haut von den Dornen und die Risse in ihrer fadenscheinigen
Kleidung.
    Sie blickte
zu der Badewanne aus Kupfer, neben der ein Dutzend Eimer mit dampfendem Wasser
standen. Die trüben Gedanken an ihre Vergangenheit schwanden, und neuer Mut
floß durch ihre Adern.
    »Du hast
recht, Vi. Das ist nicht das erste Mal, daß mich der Kapitän so gesehen hat.
Heute abend allerdings wird er mich von meiner besten Seite kennenlernen.« Sie
lief zur Wanne hinüber, zog sich die schmutzige Hose und das grobe Hemd aus
und streifte die dreckstarrenden Stiefel von den Füßen.
    Minuten
später saß sie bis zum Kinn in heißem, schaumbedecktem Wasser, das ihre Haut
nach Rosen duften lassen würde. Sie wusch sich das Haar und spülte es aus, dann
lehnte sie sich in der Wanne zurück. Ihr Knöchel tat nicht mehr so weh, und die
Kopfschmerzen waren verschwunden. Ihre Zuversicht war zurückgekehrt, zusammen
mit einer wilden Entschlossenheit.
    Das heiße
Wasser entspannte sie. Mit geschlossenen Augen Iag sie in der Wanne, als Vi mit
einem sauberen Leinenhandtuch neben sie trat.
    »Ich nehme
an, das Baby und seine Mutter haben die Anstrengungen der Geburt überstanden,
und alles hat ein glückliches Ende gefunden.«
    Vorsorglich,
damit kein Wasser auf den kostbaren, mit Intarsienarbeiten verzierten Fußboden
tropfte, legte ihr Viola das Handtuch um und wickelte dann noch ein kleineres
Handtuch um ihr langes blondes Haar.
    »Ja, Anne
hat ein kleines Mädchen bekommen, essoll Flora heißen. Es war das wundervollste
Erlebnis, das ich je hatte.«
    »Du bist
doch nicht etwa bei der Geburt dabeigewesen, oder?«
    »Natürlich
war ich dabei. Ich wollte sehen, wie ein Baby auf die Welt kommt. Jetzt weiß
ich es.«
    Viola
seufzte. »Du weißt schon viel zuviel für ein Mädchen in deinem

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