Stachelzart
in mir regte. Etwas Unheilvolles. Hatte ich etwa Veras Mutation geerbt und konnte mich auch in ein grünes Hulk-Monster verwandeln, wenn ich wütend wurde. Bevor ich total ausflippen konnte, nahm Mimi mir den Hörer aus der Hand und würgte Vera mit den Worten „Anna meldet sich wieder!“ einfach ab.
„Danke!“, presste ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. Dann atmete ich langsam ein und aus, um mich wieder zu beruhigen.
Konzentrier dich, Anna.
„Vergiss Vera“, meinte Mimi und reichte mir einen bunt gemusterten Rock. „Zieh den mal an. Mal sehen, wie der aussieht.“
Nach einigem Hin und Her hatten wi r schließlich ein zufriedenstellendes Outfit für mich gefunden. Der rote Rock und das weiße Oberteil wirkten chic, aber nicht zu geschäftsmäßig. Immerhin sollte alles ganz leger aussehen und nicht so, als hätte ich mich verkleidet. Mimi steckte meine wilde Mähne locker hoch und half mir beim Schminken.
„Fertig!“, sagte sie schließlich. „Du siehst toll aus!“
Ich betrachtete mein Gesamtbild in meinem Wandspiegel im Schlafzimmer. Ich sah wirklich gar nicht mal so übel aus. Jetzt musste ich mir nur noch die passenden Worte zurecht legen, dann konnte ich mich bewaffnet in die Löwengrube da draußen begeben.
Mein Handy klingelte schon wieder. Mimi warf einen Blick auf das Display. „Das ist Kay!“
„Lass es einfach klingeln“, antwortete ich, straffte die Schultern und probte die kleine Rede, die Mimi und ich uns ausgedacht hatten, vorsichtshalber noch einmal vor dem Schlafzimmerspiegel.
„Ok, los geht’s!“ Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus. Dann machten wir uns auf den Weg nach draußen.
Als ich die Haustüre öffnete, stand die Journalisten-Truppe unverändert auf Beute lauernd in unserem Vorgarten.
„Da ist sie“, rief jemand und plötzlich kam Bewegung in die Meute. Alle drehten sich zu mir um und starrten mich an.
Anna, du schaffst das , machte ich mir selber Mut. Ich drehte mich noch einmal zu Mimi um, die beide Daumen nach oben hielt. „Toi, toi, toi“, flüsterte sie.
Kamera läuft und Action , dachte ich und lächelte so, wie ich es vorhin vor dem Schlafzimmerspiegel geübt hatte, in die Kameras.
„Meine lieben Damen und Herren von der Presse“, machte ich es so nach, wie Kay im Bayerischen Hof mit den Journalisten geredet hatte. „Ich denke, ich weiß warum sie heute hier sind. Ich möchte dazu gerne ein Statement abgeben ….“
Ich hielt meine kleine Rede, in der ich erklärte, dass zwischen Kay König und mir nie etwas Ernstes gewesen sei. Dass uns vielmehr merkwürdige Umstände kurzzeitig zu Wohngemeinschaftspartnern gemacht haben. „Man arrangiert sich halt“, sagte ich kokett und erntete damit sogar ein paar kleine Lacher. Das machte mir so viel Mut, dass mir die Lüge mir würde nichts an Kay liegen und ich hätte gerade erst einen neuen Mann kennengelernt, leichter als gedacht über die Lippen kam. Ich beendete meine Ansprache mit den Worten:
„Und ich wünsche Kay und Frau Fergusson eine schöne Hochzeit und alles Gute für die Zukunft!“
Dann lächelte ich noch einmal und ließ mich für die Nachwelt fotografieren. Schließlich bedankte ich mich fürs Zuhören, trat den Rückzug in den Hausflur an und schloss die Tür hinter mir.
Ufff!
Mimi, die im Eingang gewartet hatte, klopfte mir anerkennend auf die Schulter. „Wow, das war echt gut! Vielleicht solltest du auch Schauspielerin werden.“
Ich zuckte mit den Achseln. Die ganze Wut auf Kay und die Aufregung vor meinem Auftritt waren verflogen. Übrig blieb nur Traurigkeit. Mich überkam plötzlich ein so großer Seelenschmerz, dass ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Ich ließ mich an der Hauswand hinabgleiten, umschlang meine Knie mit den Armen und vergrub den Kopf zwischen meinen Schultern. Dann kamen die Tränen. Sie liefen unablässig meine Wangen hinunter.
„Was habe ich nur getan?“, schluchzte ich.
„Das richtige. Du hast das richtige getan!“ Mimi tätschelte mir tröstend den Kopf.
Sie hat Recht, das war absolut richtig , sagte mein Verstand.
Nein, war es nicht! Du liebst ihn doch , schrie mein Herz.
Zwölftes Kapitel
Dienstag, 15. Oktober
Manchmal wünsche ich mir, ich hätte irgendeinen stinknormalen Job, bei dem ich morgens früh aufstehen müsste und abends spät nach Hause kommen würde. Irgendeinen Job, bei dem ich so viel zu tun hätte, dass mir absolut keine Zeit zum Nachdenken bleiben würde. Doch
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