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Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Titel: Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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Brandzeichen anzubringen.«
    Ghastek war halt ein hinterhältiger Typ. »Allerdings.«
    Es entstand eine weitere Pause. Schließlich sagte er: »Darf ich Sie noch nach oben begleiten?«
    Wie reizend. Er wollte sicherstellen, dass ich hier nicht noch an weiteren Leichen herumschnippelte. Ich schenkte ihm ein besonders umwerfendes Lächeln. »Gern.«
    Er wirkte aber gar nicht geblendet. Mist. Schon zum zweiten Mal an diesem Tag hatte mein Lächeln versagt.
    Wir gingen hinaus. Ich wartete, während er das Gitter hinter uns abschloss. »Und was machen Sie hier, Doktor Crest?«
    Er verzog das Gesicht. »Man könnte es als wohltätige Arbeit bezeichnen.«
    »Wohltätige Arbeit?«
    »Ja. Ich bin plastischer Chirurg.« Er sah mich an, als fürchtete er, ich würde ihn nun auf der Stelle bitten, mir für lau die Nase zu richten. »Ich lasse die Leichen präsentabel aussehen. Das kann sich nicht jedermann leisten, daher mache ich es zweimal die Woche hier kostenlos. Ehrenamtlich.«
    Ich nickte.
    »Meist sind es Kinder«, sagte er. »Zerfetzte Kinder. Kein schöner Anblick. Und ein großer Verlust.«
    Wir waren im Erdgeschoss angelangt. Er wartete, während ich mir am Empfang Juliannes Nummer geben ließ, dann brachte er mich zur Tür.
    »Dann sehe ich Sie also bald wieder?«, fragte er.
    »Aber hoffentlich nicht auf dem OP -Tisch«, versetzte ich und verließ das Gebäude. Während ich zu dem Parkplatz ging, auf dem Karmelion wartete, spürte ich, wie Crest mir nachsah.
    Ein Mann lehnte an meinem Wagen. Er trug ein dunkelgraues Hemd, schwarze Jeans, die unten in weichen Lederstiefeln steckte, und einen schwarzen, leichten Mantel. Während ich im Leichenschauhaus gewesen war, war die Sonne herausgekommen und hatte die Straßen mit ihrem Licht geflutet. Doch diese Sonnenstrahlen schienen an ihm abzuprallen. Er war kein Mensch, sondern ein dunkles Rechteck, das aus dem Sonnenlicht herausgeschnitten war.
    Die Passanten, die die Straße heraufkamen, machten einen Bogen um ihn. Sie beäugten ihn dabei nicht, sondern konzentrierten sich so sehr darauf, ihn nicht zu beachten, dass man einen großen Geldschein hätte fallen lassen können, und keiner hätte es bemerkt.
    Die Augen des Mannes verfolgten jede meiner Bewegungen. Ich blieb anderthalb Meter vor ihm stehen und sah ihn an.
    Er griff in seinen Mantel und warf mir etwas zu, das wie ein langes gelbes Band aussah. Ich fing es. Der glatte, kalte Leib schlängelte sich um mein Handgelenk, und der Schlangenkopf hob sich, um mir ins Gesicht zu beißen. Ich packte die Schlange mit der linken Hand am Hals. Sie war nur noch fünf Zentimeter von meiner Wange entfernt. Die Schlange züngelte zwischen schuppigen Lippen. Blutrote Membranen flatterten beiderseits des Kopfes, gespreizt wie die Flügel eines Riesenschmetterlings. Die junge geflügelte Schlange erbebte, versuchte fortzufliegen, doch ich hielt sie fest.
    »Tut mir leid, Jim.«
    Er hob die Arme und deutete eine Breite von etwa einem Meter an. Der Mantel fiel dabei so weit auseinander, dass sich die Muskeln unter seinem Hemd abzeichneten. »So groß war das Nest, Kate.« Seine Stimme hatte den sanften, beinahe melodischen Klang der Stimme eines ungefährlicheren und viel hübscheren Mannes. Sie stand in krassem Kontrast zu seiner bulldoggenhässlichen Visage. »Du bist mir noch was schuldig, und dennoch hast du mich sitzen lassen. Ich musste das da ganz allein erledigen.«
    Die Schlange wand sich in einem schwachen Versuch, mir in den Arm zu beißen. Die langen, gebogenen Fangzähne enthielten zwar kein Gift, dennoch tat so ein Biss höllisch weh.
    »Greg ist tot«, sagte ich.
    Kurz herrschte Schweigen. Dann fragte er: »Wann?«
    »Vor zwei Tagen. Er ist ermordet worden.«
    »Bis du an der Sache dran?«
    »Ja.«
    So standen wir einen Moment lang schweigend da. Dann löste er sich von meinem Wagen, bewegte sich dabei mit der animalischen Anmut des meisterhaften Gestaltwandlers.
    »Wenn du was brauchst, weißt du ja, wo du mich findest.«
    Ich nickte und sah ihm nach, wie er die Eingangstreppe des Leichenschauhauses hinaufstieg.
    »Jim?«
    Er sah sich zu mir um. »Ja?«
    »Was suchst du im Leichenschauhaus?«
    »Muss was fürs Rudel erledigen«, erwiderte er und ging weiter.
    Alle hatten sie heutzutage im Leichenschauhaus zu tun, sogar Jim. Ich war ihm noch etwas schuldig, nachdem er mich eines Winters aus einer verschneiten Schlammgrube voller Hydren gezogen hatte. Er war derjenige, den man noch am ehesten als meinen Partner

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