Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
ihrer Schönheit nur allzu bewusst, glich sie einem jungen Araberpferd: hochmütig und grausam und eine unwiderstehliche Herausforderung für jeden Mann.
Ein einsamer Passant blieb stehen, von ihrem Anblick verblüfft. Ich meinte ihn pfeifen zu sehen. Die Blondine ignorierte ihn nicht einmal; für sie existierte er gar nicht. Ich legte das Fernglas beiseite und widmete mich wieder meinem Almanach.
Fünf Minuten später klickte das Schloss, und die Blondine kam herein. Als sie mich sah, hielt sie inne. Das höhnische Grinsen verschwand. »Oh, wie schön. Ich habe was für dich.«
Nicht schon wieder.
Sie ging in die Küche, nahm etliche Dosen Eiweißpräparat aus einem Schrank und stellte sie auf den Tresen. Dazu kam eine Tüte getrocknete Aprikosen, ein Beutel Zucker, eine Tafel Schokolade und ein Mixer im Gastronomieformat. Sie holte eine Packung Eier aus dem Kühlschrank und schlug drei davon in den Mixbecher. Dann warf sie zwei Handvoll Trockenaprikosen hinein, fügte etliche Tassen Zucker hinzu, die Tafel Schokolade und den Inhalt von mindestens sechs der Dosen.
»Kaltes Wasser«, murmelte die Blondine und wies mit einer Kopfbewegung auf das Glas, das ich mir genommen hatte. »Du hättest dir ruhig was aus der Bar nehmen können.«
»Ich wollte aber Wasser trinken«, erwiderte ich.
Die Blondine lächelte, was auf ihrem Gesicht sehr seltsam aussah, und schaltete den Mixer ein. Die Schneidemesser vermengten den Inhalt des Mixbechers zu einer sämigen Masse. Sie schaltete den Mixer aus, löste den Deckel mit einer geübten Bewegung und trank dann direkt aus dem Behälter.
»Wie viel ist das? Zwei Liter?«, fragte ich.
Sie setzte den Becher kurz ab. »Eher drei.«
Dann trank sie den Behälter leer und zog sich anschließend ohne viel Federlesen das kleine Schwarze über den Kopf. Ich blickte wieder in mein Buch.
»Ist dir irgendetwas unangenehm?«, fragte die Blondine mit einem Lachen und zog sich die Strümpfe aus.
»Nein, ich lasse dir nur ein wenig Privatsphäre.« Und ich hoffte, den herrlichen Moment nicht erleben zu müssen, in dem sich mein Magen zusammenkrampfte und sein ätzender Inhalt mir in die Kehle schoss.
»Du kannst ruhig zugeben, dass dir schlecht wird, wenn du mich siehst.«
»Ja, da ist was dran.«
»Wie gefällt sie dir?«, fragte die Blondine.
Ich hob den Blick und sah sie splitternackt dort stehen. »Für eine Eiskönigin nicht schlecht. Die Brüste sind zu groß.«
Sie verzog das Gesicht. »Ja, ich weiß.«
»Und wieso eine Frau?«, fragte ich.
»Weil ich im Informationsgeschäft tätig bin, Kate. Und Männer neigen nun mal dazu, schönen Frauen ihre Geheimnisse anzuvertrauen.« Sie lächelte. »Das weißt du doch ganz genau.«
»Ich muss Männern normalerweise Körperverletzungen androhen, ehe sie mir ihre Geheimnisse verraten.«
»Dann tun mir diese Männer leid. Denn sie haben offenkundig keinen Geschmack. Weißt du, wer die Konverter herstellt, die in unseren Feenlampen enthalten sind?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
»Es gibt da vier Firmen. Und bis Ende der Woche wird der Stadtrat entscheiden, welche dieser Firmen für die nächsten drei Jahre einen städtischen Exklusivauftrag bekommt. Und in diesem Moment gibt es hier in der Stadt nur drei Menschen, die wissen, wie sich der Stadtrat entscheiden wird.«
»Lass mich raten: Du bist einer davon?«
Die Blondine antwortete nicht, aber ihr Lächeln wurde ein klein wenig breiter, was ein wenig von ihren makellos weißen Zähnen entblößte. Selbst einem finanziellen Nullchecker wie mir war klar, dass man für derlei Informationen astronomische Preise verlangen konnte.
Ihre Muskeln regten sich, streckten sich, wanden sich, so als wäre unter ihrer Haut mit einem Mal ein Gewirr von Würmern zum Leben erwacht. Mein Magen revoltierte. Ich biss die Zähne zusammen und gab mir die größte Mühe, damit mein Abendessen dort blieb, wo es war. Die Hüften der Blondine wandelten sich, ihre Schultern wurden breiter, ihre Beine stämmiger, während sich ihre Brüste in Luft auflösten und nur eine kräftige Männerbrust zurückblieb. Muskelstränge spannten sich, bildeten kräftige Beine und muskulöse Arme. Auch die Gesichtsknochen gerieten in Bewegung, die Nase wurde breiter, der Kiefer kräftiger und eckiger. Die Augen färbten sich zu einem durchdringenden Blau. Das Haar löste sich auf und wuchs neu, diesmal dunkelbraun. Ich blinzelte noch einmal, und vor mir stand ein Mann. Er hatte die Gestalt eines professionellen
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