Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
zu mir und meinem Arm und schließlich zu Curran. Jim öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber schnell wieder.
»Derek!«, rief Curran.
Der Wolf sah ihn an. Die Glut in Currans Blick versengte ihn, und er stand wie gebannt da. Curran gab einen seltsamen Laut von sich, halb Knurren, halb Wort, aber unverkennbar ein Befehl. Der Wolf erschauerte. Curran wiederholte den Befehl. Der Wolf erschauerte heftiger, sein schlanker Leib zuckte, und er winselte.
Der Herr der Gestaltwandler funkelte mich an. »Gib ihn frei.«
»Ist das eine Bitte oder ein Befehl?«
Ein Zucken lief über Currans Gesicht, so als wollte der Löwe, der in ihm steckte, aus ihm hervorbrechen. »Das ist eine Bitte«, sagte er.
Ich kniete mich vor dem Wolf hin, griff in sein dickes Fell, berührte die darunterliegende Haut. Das Tier erbebte.
»Ist dieser Raum geschützt?«
Curran nickte. Ich sah den Wolf an und flüsterte: » Dair .« Sei frei .
Die Kraft dieses Macht-Worts ließ mich erbeben. Ich hatte rote Ringe vor den Augen und schüttelte den Kopf, um wieder klar sehen zu können. Der Wolf sank zu Boden, als wäre mit einem Schlag alle Kraft aus seinen sehnigen Beinen gewichen. Curran knurrte, und das Tier verschwand in einem dichten Nebel, und schließlich hockte der Junge nackt und feucht auf dem Fußboden.
»Ich konnte nicht«, ächzte er.
»Ich weiß«, sagte Curran. »Schon gut.«
Der Junge seufzte und wurde ohnmächtig. Eine der Frauen, eine langbeinige, sehr schlanke Brünette von Mitte dreißig, breitete eine Decke über ihn.
Curran wandte sich mir zu. »Wenn du noch einmal einen der meinen nimmst, bringe ich dich um.« Er sagte das im Plauderton, ganz sachlich-nüchtern, aber in seinen Augen sah ich eine schlichte Gewissheit. Wenn es sein musste, würde er mich töten. Und es würde ihm nicht den Schlaf rauben. Er würde die Sache keines zweiten Gedankens würdigen. Er würde es tun und dann einfach sein Leben fortsetzen, unbekümmert darum, dass er meines beendet hatte.
Es jagte mir eine Heidenangst ein, daher lachte ich ihm ins Gesicht. »Meinst du, du kriegst das beim nächsten Mal allein hin? Bring doch lieber ein paar von deinen Speichelleckern zur Verstärkung mit, damit sie mich wieder in die Zange nehmen können.«
Hinter mir machte jemand ein würgendes, erstickendes Geräusch. Das war’s, jetzt bin ich tot, dachte ich. Currans Gesicht zuckte. Blutgier durchströmte ihn, doch mit einiger Willensanstrengung erlangte er die Kontrolle über sich zurück. Es war eine beinahe körperliche Anstrengung. Ich sah, wie sich die Muskeln seines Gesichts einer nach dem anderen entspannten, während seine Wut implodierte. Der Zorn in seinen Augen verglomm, und dann stand er ganz entspannt und locker vor mir. Nichts, das ich gesehen hatte, hatte mir jemals mehr Furcht eingeflößt.
»Vorläufig brauche ich dich noch«, sagte er. Dann sah er sich zu dem Rudelrat um und fragte: »Ist Corwin bereit?«
»Ja, gnädiger Herr«, antwortete ein älterer Mann. Breitbrüstig und mit Schultern und Armen, auf die jeder Schmied stolz gewesen wäre, sah er nach etwa Mitte fünfzig aus, durch seinen buschigen schwarzen Bart und seine schwarze Mähne zogen sich einzelne graue Strähnen.
»Gut. Bringt sie zu ihm. Ich komme gleich nach.«
Der schwarzbärtige Mann ging zu einer Tür links im Raum und hielt sie mir auf. »Bitte.«
Ich ging hinaus.
Wir marschierten einen gewundenen Korridor entlang. »Mein Name ist Mahon«, sagte der Mann mit dem schwarzen Bart. In seiner tiefen Stimme lauerte ein leichter schottischer Akzent.
»Freut mich«, murmelte ich mechanisch.
»Es wäre viel netter gewesen, wenn wir uns unter anderen Umständen kennengelernt hätten«, kicherte er. »Du musst verstehen, dass Curran nicht gestatten kann, dass jemand etwas nimmt, das ihm gehört. Wenn er das einfach so zulassen würde, würde seine Autorität infrage gestellt, und manche würden sich fragen, ob du mit ihm nicht das Gleiche tun könntest, was du mit Derek getan hast.«
»Ich bin mir der Regeln des Rudels durchaus bewusst«, sagte ich.
»Und du bist eine Außenseiterin. Das Rudel ist Außenseitern gegenüber sehr misstrauisch.«
»Ich bin eine menschliche Außenseiterin. Und das Rudel hat mich behandelt, als wäre ich eine Einzelgängerin. Und das mit Currans Erlaubnis.«
Sehr selten entschied sich ein Gestaltwandler, dem Kode auf eigene Weise zu folgen und sich nicht dem Rudel anzuschließen. Derartige Individuen wurden hier Einzelgänger
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