Stadt der Lügen
dich. Als Ausgleich lade ich dich heute Abend zum Essen ein.«
Er hatte den Eindruck, als betrachte sie ihn im Bruchteil einer Sekunde von Kopf bis Fuß, ohne die Augen zu bewegen.
»Einverstanden«, antwortete sie.
»Wir sind so weit!« Die Stimme des Regieassistenten erfüllte den Raum. »Alle auf ihre Plätze! Fertig! Film ab!«
Dick O’Toole und Torrid Flame legten die Bademäntel ab.
Sie aßen in einem fensterlosen Betonbunker am Strand, den man in ein feudales Restaurant verwandelt hatte. Während des vergangenen Jahres war Tom hier häufig zu Gast gewesen, wusste aber nie ganz genau, ob die Geschäftsleitung ihn gerne als Kunden sah oder eher peinlich berührt war. Man geleitete ihn grundsätzlich zu einem Tisch in einer Ecke, wo man zwar wunderbar ungestört saß, an dem man aber auch nicht von anderen Gästen gesehen werden konnte.
»Heimlicher Ruhm«, flüsterte Tom Amanda zu, als er entdeckte, dass ein paar männliche Gäste ihnen nachsahen und sich offensichtlich zu erinnern versuchten, woher sie die beiden kannten.
Amanda lächelte. Sie kannte diesen Blick und das verwirrte Erröten, wenn der Zusammenhang hergestellt war. Allerdings passierte ihr so etwas eher selten, weil sie im normalen Leben ganz anders aussah als auf der Leinwand. Sie kleidete sich entweder unsäglich langweilig, oder – wie an diesem Abend – mit bescheidener Einfachheit. Vorbilder für ihren Modegeschmack waren eher Kelly und Hepburn als Monroe oder eine der anderen Sexbomben.
Sie setzten sich an ihren Tisch, bestellten und unterhielten sich so, wie zwei Fremde sich bei ihrer ersten Verabredung zu unterhalten pflegen. Vorlieben in Sachen Musik, Essen, Filme, Leute und Reiseziele wurden erkundet und nach Geburtsort und Werdegang gefragt. Was die Politik betraf, waren sie unterschiedlicher Ansicht: Sie fand, der Präsident würde unterschätzt, er war der gegenteiligen Meinung. Keiner von beiden fragte nach vergangenen oder gegenwärtigen Beziehungen, und keiner von beiden plauderte Details aus. Dennoch gingen sie stillschweigend davon aus, dass beide im Augenblick ohne Partner waren.
Auf dem Parkplatz bedankte sie sich für einen gelungenen Abend. Er küsste sie auf die Wange und fragte, ob sie noch mit zu ihm nach Hause käme.
Sie sah ihn ein wenig traurig an – zumindest kam es ihm so vor – und schüttelte den Kopf.
»Lieber nicht.«
»Hat das persönliche Gründe oder aus Prinzip nicht?«
»Was glaubst du?«, fragte sie zurück. Ihre bisher ernsten Züge spiegelten eine leichte Belustigung wider.
»Ich wünsche mir, dass es dir – wie mir übrigens auch – nur darum geht, keine Regel zu brechen, die du für dich selbst aufgestellt hast. Allerdings muss ich gestehen, dass ich meine Regel soeben gebrochen habe.«
»Ich denke, eine gebrochene Regel ist genug für einen Abend. Im Übrigen haben wir morgen einen frühen Termin.«
Sie hatte Recht. Bereits um zehn Uhr mussten sie für die Aufnahme einer Orgie am Set erscheinen. Außerdem war es am Abend vor einem langen Aufnahmetag sicher nicht klug, sich sexuell zu verausgaben – vor allem als Mann.
Er öffnete ihr die Wagentür, küsste sie noch einmal auf die Wange und sah ihr nach, bis ihre Rücklichter in der Ferne verschwanden.
Am nächsten Tag passierte Tom etwas, was ihm noch nie zuvor geschehen war. Er fand es völlig normal, dabei zu sein, wenn seine Filmpartnerin – selbst eine, mit der er das eine oder andere Mal ausgegangen war – vor laufender Kamera von drei Männern rangenommen wurde. Sie tat dann ihre Arbeit wie eine steppende Shirley Temple oder ein Bösewichter verprügelnder John Wayne. Normalerweise schaute er nicht einmal hin. In aller Regel waren Aufnahmetage ziemlich langweilig. Meist stand man herum und wartete, nur ab und zu gab es ein wenig Action. Wie üblich verzog sich Tom mit einem Buch in eine ruhige Ecke.
Doch warum blätterte er Seite für Seite um, ohne etwas aufzunehmen? Nachdem er ein zweites Mal dieselbe Passage gelesen hatte, ohne ein Wort zu behalten, gab er auf. Wahrscheinlich gab es solche Tage, dachte er, an denen man einfach nicht aufnahmefähig war. Er wusste zwar nicht warum, aber so etwas gab es eben.
Stattdessen spazierte er durch den Garten der Villa und hielt ein Schwätzchen mit einer der Schauspielerinnen, die gerade aus dem als Maske dienenden Wohnwagen kam. Sie wirkte ausgesprochen entspannt und lächelte selig. Ihre Pupillen waren stark erweitert. Tom hatte keine Ahnung, was sie
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