Stadt der Lügen
sie verstehen, dass er es ernst meinte und ganz anders war als die anderen Männer, die sie kannte.
Aber sie hielt Abstand. Sie antwortete weder am Telefon noch auf sein Klingeln an der Wohnungstür. Sogar den Anrufbeantworter hatte sie abgeschaltet. Irgendwann begann er sich zu fragen, ob sie vielleicht ausgezogen war. Doch eines Morgens nahm sie das Telefon ab. Ihre Stimme klang schläfrig. Es war halb sieben.
»Amanda, ich bin es, Tom.«
»O nein.«
»Wo warst du? Seit Tagen versuche ich, dich zu erreichen.«
»Lass es doch einfach. Du tust uns beiden damit einen Gefallen. Bitte.«
»Ich möchte dich wenigstens sehen.«
»Ich lege jetzt auf. Ruf bitte nicht wieder an.«
Das Freizeichen erklang. Langsam legte er auf und fasste einen Entschluss.
Offenbar hatte sie mit niemandem darüber gesprochen, dass sie ihn nicht sehen wollte. Es wäre einfach herauszufinden, wo sie an diesem Tag arbeitete.
Das Studio war eine umgebaute Lagerhalle in der Nähe von La Brea. Ein Fremder wäre nie eingelassen worden, aber die Türsteher kannten Tom und grüßten ihn freundschaftlich.
»Ich wusste gar nicht, dass du heute auf dem Drehplan stehst«, sagte einer von ihnen und fuhr mit seinem Kugelschreiber eine Namensliste entlang.
»Tue ich auch nicht«, erwiderte Tom. »Ich will nur jemanden besuchen.«
»Okay. Du kannst rein.«
Trockeneis qualmte in einer neonhellen Folterkammer. Ein Ausstatter und sein Gehilfe wuselten herum und überprüften Äxte und gekreuzte Schwerter an den Wänden, den Faltenwurf eines Vorhangs und die Platzierung eines obszönen Wappens auf einem Fallgatter aus Pappe. Im Mittelpunkt der Szene befand sich ein Drehgestell, auf dem Amanda völlig nackt und mit gespreizten Gliedmaßen angekettet war. Neben ihr standen zwei bis auf ihre schwarzen Masken ebenfalls nackte Männer. Vor einem der beiden lag ein Fluff Girl auf den Knien und bereitete ihn auf die Szene vor. Der andere brachte sich mit rhythmischen Bewegungen seiner rechten Hand, in Insiderkreisen Strasberg-Methode genannt, selbst in Bereitschaft. Amanda starrte mit gefasstem, ausdruckslosem Gesicht in die Dunkelheit über ihr.
Tom hielt sich im Hintergrund. Außer ein paar Technikern, die ihm einen Gruß zunickten, bemerkte ihn niemand. Toms Magen krampfte vor Nervosität – ein Gefühl, das ihm sonst völlig fremd war. Er atmete mehrmals tief durch und beruhigte sich mit dem Gedanken, dass er einfach warten würde, bis die Szene abgedreht war, und anschließend in ihre Umkleidekabine gehen würde, um dort ruhig und sachlich mit ihr zu reden. Sie würde verstehen, dass sie nichts von ihm zu befürchten hatte, und dann würden sie ihre Beziehung an der Stelle wieder aufnehmen, wo sie sie abgebrochen hatten.
Der Regieassistent bat um Ruhe, der Kameramann verkündete: »Kamera läuft«, und der Regisseur rief: »Action!«
Tom sah zu, obwohl er wusste, dass er es nicht tun wollte. Immer wieder sagte er sich, dass er sich im nächsten Augenblick abwenden oder hinausgehen und warten würde, bis alles vorüber war.
Doch er wandte sich weder ab, noch ging er hinaus. Er blieb, wo er war, und sah völlig unbewegt zu. Kein Muskel zuckte, kein Augenlid zwinkerte. Wenn er sich selbst hätte sehen können, hätte er vermutet, dass sein Herzschlag und sein Atem ausgesetzt hatten.
Aber er sah sich nicht selbst. Er hatte nur Augen für Amanda und das, was die beiden Männer mit ihr taten. Und dann knallte er durch.
Zunächst kapierte niemand, was da passierte. Man dachte an einen Witz, vielleicht eine Art Stunt. Plötzlich tobte Tom über den Set, schnauzte unverständliches Zeug, zerrte die beiden Männer von Amanda weg und bog die Plastikketten aus ihrer brüchigen Befestigung.
Die Akteure, die viel zu erschrocken und in ihrer Nacktheit viel zu verletzlich waren, um heftig zu reagieren, zogen sich schnell zurück. Einer der beiden zog sich die Maske vom Gesicht. Es war Hal.
»Was zum Teufel …?«, war alles, was er hervorbrachte, ehe Toms Faust mitten auf seinem Mund landete und ihn rückwärts taumeln ließ, wobei er die Wand des Verlieses mit sich riss.
Alles schrie durcheinander. Schließlich kamen ein halbes Dutzend Filmleute und drei Sicherheitskräfte zur Rettung.
Entsetzt und ungläubig sah Amanda zu, wie Tom, der noch immer tobte, von der Bühne geschleift wurde. Sein Blick blieb unbeirrbar auf sie geheftet, und er rief unentwegt ihren Namen. Sie merkte, dass die Garderobiere ihr einen Bademantel über die Schultern legte, sie fest
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