Stadt der Masken strava1
Bellezzaner chemische Mittel einzuspritzen. »Nein. Der müsste wohl schon von einem Arzt des einundzwanzigsten Jahrhunderts unterwiesen werden.«
»Und wenn sie diese Heilmethoden hätten und die Kunst, sie anzuwenden«, fuhr Rodolfo beharrlich fort, »glaubst du vielleicht, sie würden sie allen zugänglich machen? Nein. Die Chimici wollen nur den Chimici helfen. Sie würden sich nur das zusammenrauben, was sie selbst stärken würde, was sie länger leben lassen würde, was ihren Frauen leichte Geburten und gesunde Säuglinge bescheren würde. Zum Teufel mit allen anderen.« Er ging jetzt mit langen Schritten die Terrasse auf und ab, verärgert und ziemlich aufgebracht. Bei allem, was Lucien von dem Spiel verstand, in das er verwickelt worden war, konnte er sich wohl glücklich schätzen, dass er auf derselben Seite stand wie Rodolfo. Der Stravagante würde ein äußerst unangenehmer Widersacher sein.
Rodolfo hielt abrupt inne, als sich Alfredo durch das Fenster quälte.
»Herr«, rief der Diener, »der remanische Botschafter steht unten. Er möchte vorgelassen werden.«
Während er sprach, drückte er rasch Daumen und kleinen Finger der rechten Hand aufeinander und berührte mit den mittleren Fingern Stirn und Brust.
»Sage ihm, ich sei nicht da«, wies ihn Rodolfo stirnrunzelnd an.
»Das habe ich bereits versucht, Herr, aber er hat gesehen, dass Eure Mandola unten angebunden ist«, sagte der alte Mann. »Und er sagt, dass ›seine Leute‹
Euch heute noch nicht haben ausgehen sehen.«
»Seine Leute?«, sagte Rodolfo empört. »Jetzt setzen sie also schon Spitzel auf mich an, was?« Er drehte sich rasch nach Lucien um. »Schnell, in mein Laboratorium. Wenn ihr Spitzel meine Tür beobachtet hat, wird er dich hereinkommen gesehen haben. Aber man kann von hier auf mehr als einem Weg verschwinden.
Wir müssen dich fortschaffen.«
Lucien folgte Rodolfo über den niedrigen Fenstersims, war jedoch verwirrt. Wie sollte er fortkommen? Und warum war der remanische Botschafter für ihn von Bedeutung? Rodolfo schritt rasch auf die gegenüberliegende Wand zu und ergriff einen Kerzenhalter in Form eines Pfauen mit ausgebreitetem Rad. Es war ein ganz wunderschönes Stück Kunsthandwerk und Lucien fragte sich, wieso er es nicht gleich bemerkt hatte, als er das Laboratorium zum ersten Mal betreten hatte. Der Pfau war aus Silber und jede Farbe der Federn war in leuchtendem Email aufgebracht. Die Blautöne der Pfauenbrust und die Violett- und Grüntöne des Rades schimmerten in der Düsternis des Raumes wie ein Leuchtfeuer, das einen sicheren Hafen ankündigt.
Rodolfo drehte den Kopf des Pfauen herum und die dahinter liegende Wand wich zurück. Lucien traute seinen Augen nicht. Ein Geheimgang! Doch bevor er noch ein Wort sagen konnte, scheuchte Rodolfo ihn bereits in den Gang und griff wieder nach dem Pfauenkopf. Lucien konnte von außerhalb des Laboratoriums Lärm und Stimmen hören.
»Folge dem Gang einfach«, flüsterte ihm Rodolfo zu. »Er führt dich in den Palast der Duchessa. Drücke leicht gegen die Tür, wenn du ans andere Ende kommst, und du wirst dich in ihren Privatgemächern wieder finden.«
Lucien bleib reglos stehen. Er hatte keineswegs vor, der Duchessa in ihren Privatgemächern allein gegenüberzutreten! Lieber würde er einem Tigerweibchen in einem Käfig gegenüberstehen. Die Duchessa war eindeutig die beunruhigendste Person, der er je begegnet war!
»Wow!«, sagte er. »Und warum sollte ich das tun?«
Rodolfo beugte sich näher und seine großen Augen fixierten Lucien mit dem Blick eines Hypnotiseurs. »Weil die Person, die da heraufkommt, Rinaldo di Chimici ist«, sagte er leise. »Und wenn er dich je findet, dann wird er dich wegen deines Notizbuchs, ohne mit der Wimper zu zucken, umbringen. Geh jetzt. Und ich komme so bald wie möglich nach. Nimm diesen Feuerstein, damit du was siehst.« Er durchsuchte seine Gewänder und steckte Lucien etwas zu, das ungefähr die Größe eines Enteneis hatte.
»Sage Silvia, dass ich dich schicke.«
Damit wurde Lucien in den Gang geschubst und die Wand schloss sich hinter ihm, noch bevor er mit Shakespeares Worten fragen konnte: »Wer ist Silvia?«
So stand Lucien nun im Inneren des Ganges und gewöhnte seine Augen an die Dunkelheit. Es war pechschwarz. Lucien hielt das »Ei« hoch und sah fasziniert zu, wie es zu leuchten begann. Bald fühlte es sich warm an und glühte rot. Es gab ein schwaches Licht ab, gerade genug, um ihm zu zeigen, dass er sich in
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