Stadt der Masken strava1
unbedingt mit ihm darüber reden wollen. Sobald sie beide allein waren und die Gässchen von Bellezza erforschten, sagte sie: »Was ist ge
schehen? Bist du in Schwierigkeiten gekommen?«
»Beinahe«, erzählte Lucien. »Es war wirklich ziemlich knapp.«
»So etwas darf uns nicht wieder passieren«, sagte Arianna ernst. »Wir haben Glück gehabt, dass wir mitten auf der Lagune in einem Boot waren und dass sonst kaum jemand auf dem Wasser war. Andernfalls hättest du unheimliches Aufsehen erregt und die Chimici hätten davon Wind bekommen.«
Lucien zögerte, dann beschloss er, Arianna ins Vertrauen zu ziehen. »Natürlich dürfen wir es nicht mehr dazu kommen lassen, dass wir unvorsichtig sind und so überrascht werden. Aber ich will versuchen, ganz bewusst eine Nacht hier zu bleiben.«
Arianna blieb unvermittelt stehen und starrte ihn an.
»Wie willst du das bewerkstelligen? Und warum?«
»Ich werde meine Eltern überreden, mich allein zu lassen. Und dann bleibe ich hier. Ich will die Feierlichkeiten sehen. Schließlich habe ich den ganzen Morgen Feuerwerkskörper dafür gemacht.«
»Weiß Rodolfo Bescheid?«, fragte Arianna.
»Ihm erzähle ich es lieber nicht«, sagte Lucien ganz ruhig, obwohl ihm bei seinem Entschluss nicht so richtig wohl war. Was, wenn Rodolfo seine Anwesenheit in Bellezza entdeckte, wie beim letzten Mal? Er war sicher, dass der Magier nicht einverstanden wäre.
Die Schneiderin hatte sehr wohl daran gedacht, zwei Kleider anzufertigen, obwohl sie keine Ahnung hatte, dass eines für das Double bestimmt war, das die Duchessa bei ihrem Auftritt am Fest der Maddalena benutzen würde. Wie jede Schneiderin in Bellezza glaubte sie, dass die Duchessa äußerst eitel war. Das zweite Kleid würde wie alle anderen, die sie bei wichtigen Anlässen trug, in einem Saal des Palazzos ausgestellt werden. Die Schneiderin hatte verstanden, dass es eine enge Taille haben und schmal über die Hüften fallen sollte. Da sie nie selbst zu den Festen ging, würde sie auch nicht bemerken, wie jugendlich die Duchessa aussah, wenn sie leichten Fußes von Boot zu Boot schritt, über die improvisierte Brücke aus Barken, die über den Großen Kanal zu der neuen Kirche führte.
Das Kleid und sein Pendant waren wunderschön. Tatsächlich war das der Duchessa nur eine Nummer größer als das ihrer Stellvertreterin, obwohl niemand sie mehr für ein junges Mädchen halten konnte. Es war nicht aus Eitelkeit, dass sie eine Stellvertreterin benutzte, obwohl sie tatsächlich reichlich eitel war. Sie hatte damit vor fünfzehn Jahren begonnen, aus einem guten Grund, den nur sie selbst kannte. Inzwischen bereitete ihr die Gefahr, dass man ihr auf die Schliche kommen könnte, schon fast Vergnügen.
Silvia war ruhelos. Sie war nun seit über zwanzig Jahren Duchessa und sie sehnte sich danach, mehr für ihre Stadt zu leisten, als nur schöne Kleider zu tragen –
vor allem jetzt, wo die Stadt so von den Chimici bedroht wurde.
Trotzdem musste sie zugeben, dass das neue Modell der Schneiderin außergewöhnlich schön war. Der violettfarbene Satin passte zu ihren Augen, die unter der lavendelblauen, mit Pailletten besetzten und mit purpurnen Federn geschmückten Maske hervorleuchteten. Sie sah aus wie ein Paradiesvogel, als sie vor dem Spiegel auf und ab stolzierte.
»Ausgezeichnet! Nun helft mir aber wieder heraus. Ich warte schon auf meinen nächsten Besucher.«
Die Schneiderin wurde abrupt hinausgeschickt, aber immerhin im Vorzimmer mit Kuchen und Wein versorgt. Neugierig sah sie zu, wie der nächste Besucher in seinen groben Handwerkerkleidern die Gemächer der Duchessa betrat. Er sah nicht aus wie ein Maskenmacher oder Friseur oder einer der anderen vielen Leute, die für das Verschönern und Herausputzen der Duchessa zur Verfügung standen.
»Komm herein, komm herein«, sagte die Duchessa und rückte ihre schlichte grüne Maske zurecht, die sie gegen die Staatsmaske ausgetauscht hatte, sobald die Schneiderin gegangen war. »Erzähl mir von dem Mädchen.«
»Warum fangt ihr beiden nicht wieder euer normales Leben an, du und Dad?«, schlug Lucien vor. »Es geht mir jetzt schon so viel besser. Du könntest doch wieder an die Schulen zurück und unterrichten, Mum.«
Vicky Mulholland war Geigenlehrerin. Sie unterrichtete an mehreren Schulen des Bezirks und nach dem Schulunterricht und in den Ferien hatte sie außerdem Privatschüler. Doch seit Lucien so krank geworden war, schon das ganze Schulhalb
jahr, hatte sie fast
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