Stadt der Piraten
obersten Elv. Verflucht sei das Schicksal, das mich dazu gemacht hat!«
Jorgan begann wieder zu schluchzen. »Ich bin ein gefangener Gott, ein Leibeigener der Nachtmenschen, der über Tod und Leben anderer befinden kann, nicht aber über sich selbst«, schloss der Alte mit gebrochener Stimme.
»Hast du schon an Flucht gedacht?« fragte Nottr.
»Ha!« Jorgan spie den Laut förmlich aus. »Sieh mich an, wohin kann ich mich schon wagen? Zuerst haben mich meine eigenen Kameraden so lange gefoltert, bis ich nur noch ein Bündel Fleisch war. Ein anderer wäre nach diesen Torturen schon zehnmal gestorben, und das muss meine Brüder beeindruckt haben, denn sie wagten es nicht mehr, Hand an mich zu legen. Sie setzten mich an der Elvenbrücke aus. Ich schleppte mich durch einen Spalt in diese finstere Welt in der Hoffnung, hier den Tod zu finden. Aber ich war selbst dem Mahnermann, der sonst alles frisst, zu minder. Der Mahnermann pflegte mich gesund - das ist die Wahrheit!« Er schleuderte ihnen die Worte entgegen, als seien sie für sein Schicksal verantwortlich und als klage er sie dafür an.
»Wenn du die Freiheit willst, könnten wir dir dazu verhelfen«, sagte Mythor. »Wir sind bewaffnet, und mit deiner Unterstützung könnten wir den Nachtmenschen entkommen.«
»Sie scheuen das Licht, sie fürchten das Feuer.« Jorgan nickte bekräftigend. »Schwerter gegen Steinbeile. Licht gegen blinde Gewalt. Wir könnten es schaffen.«
Mythor erhob sich und streckte dem Alten die Hand hin, der verwirrt darauf starrte.
»Also schließt du dich uns an?« fragte Mythor. »Dann schlag ein!«
Jorgan sprang mit einem gurgelnden Laut von seinem steinernen Sitz und verkrallte sich in Mythor s Arm. Er riss den Kopf zurück, sperrte den Mund weit auf, so dass seine silbernen Reißdornen auseinanderklafften. Bevor er sie jedoch in Mythors Fleisch schlagen konnte, war Nottr zur Stelle und fällte den Alten mit einem Schlag seines Schwertknaufs gegen den Hinterkopf.
Der Alte war jedoch bei Bewusstsein und wimmerte, auf dem Boden liegend, leise vor sich hin. »Tut mit mir, was ihr wollt, nur macht endlich Schluss«, jammerte er. »Wer mich tötet, erweist sich mächtiger als ich und muss meinen Platz einnehmen.«
»Das würde uns gerade noch fehlen«, sagte Mythor. »Wir wollen nicht dein Leben, Jorgan, sondern deine Freundschaft. Warum wolltest du meine Hand beißen, die ich dir zum Zeichen der Verbrüderung reichte?«
»Verzeih!« murmelte Jorgan. »Nachtmenschen haben ein anderes Ritual der Verbrüderung.«
»Steh auf!« befahl Mythor.
Als der Alte mühsam auf die Beine kam, stand Nottr mit drohend erhobenem Krummschwert daneben.
»Mein Vorschlag gilt immer noch«, sagte Mythor.
»Ihr wollt mich in die Freiheit mitnehmen?« fragte Jorgan und ließ seine blutigen Augen rollen. Das Grinsen seines lippenlosen Mundes schien sich zu vertiefen. »Ich habe vorhin gesagt, dass ich nicht wisse, wohin ich mich wenden solle. Das stimmt nicht. Ich habe doch ein Ziel. Ich möchte nach Thormain, um Rache zu nehmen! Ich schlage ein.«
Jorgan streckte seine Hand aus und hielt sie dabei zu einer Klaue geformt.
»Besiegeln wir unser Bündnis ohne Handschlag«, meinte Mythor. »Es gilt auch so.«
*
»Es gibt keine Elven mehr«, erzählte ihnen Jorgan. »Wenigstens nicht an der Elvenbrücke. Die Oberen, die auf der Elvenbrücke leben, halten sich für Nachkommen der Elven, aber sie sind es ebensowenig wie die Nachtmenschen oder die Lichtsucher. Die Oberen haben etwas mehr Verstand, das ist alles. Aber dem Mahnermann müssen auch sie opfern.«
»Was ist der Mahnermann für ein Wesen?« erkundigte sich Mythor.
»Ein Wesen?« rief Jorgan spöttisch aus. »Der Mahnermann ist weder ein Tier noch ein Mensch, auch keine Pflanze, überhaupt nichts Lebendes. Oder sagen wir so, er ist ein Ding, das eigentlich nicht leben dürfte. Er besteht aus Stein, aus demselben Stein wie die ganze Elvenbrücke. Es kann nur so sein, dass die dunklen Mächte ihn beseelt haben und ihm auftrugen, die Elvenbrücke zu zerstören und alles Leben darauf und darin zu vertilgen. Der Mahnermann ist ein steinerner Allesfresser.«
Mythor schüttelte ungläubig den Kopf, und Sadagar tippte sich verstohlen an die Stirn.
»Irrengewäsch«, murmelte Nottr vor sich hin. Nur Kalathee bezweifelte Jorgans Worte nicht, das sah man ihrem erschrockenen Gesicht an.
Jorgan hatte aus seiner »Götterstube«, wie er den Raum hinter dem Sitzstein nannte, einige menschliche Knochen geholt.
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