Stadt der Sterne strava2
Georgia abgestiegen war, schüttelte Merla die Schwingen aus und eine schwarze Feder schwebte auf das Pflaster. Georgia hob sie auf und steckte sie in die Tasche zu dem etruskischen Pferd. Das war womöglich ein Fehler, aber sie konnte sie einfach nicht in Remora zurücklassen.
Lucien kam ihr schon entgegen, als sie Merla in den Stall brachte. Er wartete, bis Georgia das geflügelte Pferd abgerieben und gefüttert hatte, dann bat er sie ein Stück mit ihr zu gehen.
»In Ordnung«, sagte sie, »aber ich hab nicht mehr viel Zeit. Heute muss ich pünktlich daheim sein.«
Wie so oft gingen sie auf den Campo. Cesares rot-gelbes Halstuch flatterte noch an der Säule, doch wo vor weniger als einem Tag das Rennen stattgefunden hat
te, tummelten sich jetzt wieder Remaner und fremde Besucher. Viele erkannten Georgia wieder und grüßten sie freudig.
»Du bist ja eine Stadtberühmtheit«, sagte Lucien und lächelte ihr zu.
»Kann einem glatt zu Kopf steigen«, erwiderte sie. »Wenn ich dann nächstes Schuljahr durch das Schultor gehe, erwarte ich dasselbe.«
»Dann werde ich wieder in Bellezza sein und lernen ein besserer Stravagante zu werden«, sagte Lucien.
»Macht mehr Spaß als Schulprüfungen«, meinte Georgia.
»Du wirst mir fehlen«, sagte Lucien unvermittelt.
»Wirklich?« Bitte, lieber Gott, dachte Georgia, lass mich nicht rot werden.
»Es hat mir geholfen, wieder jemand aus meiner alten Welt zu treffen«, sagte er.
»Zuerst war es ziemlich schmerzlich, aber jetzt will ich alles wissen, was los ist –
mit Falco und meinen Eltern.«
»Du hast doch gesagt, dass du ein paar Mal dort warst. Kannst du nicht selbst mal hinreisen?«
»Doch, aber das ist ziemlich schwierig«, sagte Lucien. »Ich komme mir dort nicht mehr wirklich vor. Und es ist so unheimlich, meine Eltern zu sehen und zu wis
sen, dass ich nicht mehr bei ihnen leben kann. Zu wissen, dass sie mich sehen können, ohne doch in der Lage zu sein, ihnen alles zu erklären.«
»Vielleicht wird es leichter, je öfter du kommst«, sagte Georgia. »Und vielleicht kann ich dich auch mal sehen?«
»Das wäre nett«, sagte Lucien und nahm ihre Hand. »Ich kann nicht so recht erklären, was ich meine, aber ich habe das Gefühl, dass du für mich etwas Be
sonderes bist. Eine Verbindung zu meinem anderen Leben, die sonst niemand hier sein kann, nicht mal Doktor Dethridge. Die Welt, die er verlassen hat, um hierher zu kommen, hat mit der, aus der ich gerissen wurde, nichts zu tun.«
Es ist schön, für jemanden etwas Besonderes zu sein, dachte Georgia, auch wenn es nicht das ist, was ich mir gewünscht habe.
»Ich muss zurück«, sagte sie. »Ich muss reisen.«
»Dann sage ich dir hier Auf Wiedersehen, wenn du nichts dagegen hast«, sagte Lucien. »Ich glaube, ich gehe zum Palast und besuche Arianna.«
»Ist das denn sicher?«, fragte Georgia besorgt. »Wenn der Herzog nun dort ist?«
»Ich kann mein Leben nicht damit zubringen, vor dem Herzog Angst zu haben.«
Lucien beugte sich vor, umarmte sie und gab ihr einen raschen Kuss auf die Wange.
Und dann hatte er sich umgedreht und lief mit schnellen Schritten über den Campo.
Kapitel 25
Fallende Schatten
Niccolò saß in seinem Sessel und hatte Falco auf dem Schoß, der nur noch ein Schatten seiner selbst war. Sie waren allein; alle anderen Familienmitglieder waren im Palast und besprachen ihre Hochzeiten mit dem Papst. Das letzte Licht des Tages strömte durch das Fenster und in den schrägen Strahlen tanzten Staubkörner.
»Die Zeit ist gekommen«, sagte der Herzog. Mit sanfter Hand deckte er die Falten seines Umhangs über das Gesicht des Jungen.
Falco spürte plötzlich, wie ein Stoß seinen Körper durchlief. Es kam ihm wie ein Blitzschlag vor und er sprang auf. Sein Körper fühlte sich schwer und auf neue Weise kompakter an. Er hatte sich in Georgias Welt zwar nie besonders leicht gefühlt, aber jetzt wusste er, dass er bis zu diesem Moment nicht ganz dort gewesen war.
»Es ist so weit«, sagte er staunend zu sich selbst. »Mein alter Körper ist gestorben.«
Er humpelte zum Fenster hinüber und zog den Vorhang auf. Über Islington ging die Sonne auf und warf ihre ersten Strahlen ins Zimmer. Falco stellte sich mit dem Rücken zum Fenster und sah, wie sein Schatten dunkel aufs Bett fiel.
»Jetzt bin ich für immer hier«, sagte er und hatte das Gefühl, einsamer zu sein als jemals in seinem alten Leben.
Georgia war früh auf und bereit sich dem Tag zu stellen, was er auch bringen
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