Stadt der Sterne strava2
würde. Und was er zuerst brachte, war Russell. Er drängte sich in ihr Zimmer, indem er einfach die Kommode wegschob, als sei sie aus Pappmaschee. »Oh, hoppla, sollte mich die etwa aussperren?«, fragte er. »Was willst du, Russell?«, fragte Georgia seufzend. »Ich will wissen, wo du letzte Nacht warst«, sagte er und setzte sich auf ihr Bett. »Und hör bloß mit dem Mist über Versprechen und so auf. Ich könnte wetten, dass du mit dem kleinen Krüppel unterwegs warst.«
»Das war ich nicht«, sagte Georgia bestimmt. Sie fühlte sich seltsam gelassen.
»Aber auf jeden Fall warst du mit einem Typ weg, da wette ich. Und bestimmt war es irgend so ein Freak.«
»Aber klar«, sagte Georgia. »Ich war sogar mit zwei Typen weg, um es genau zu sagen, und beide gelten wohl als gut aussehend, wenn man von der Anzahl der Mädchen ausgeht, die hinter ihnen her waren.« Russells Augen quollen aus dem Kopf. »Und ich hab eine Menge Rotwein getrunken und auch viel getanzt«, fuhr sie in Gedanken an die letzte Nacht in Remora fort. »Und alle haben mir zugeprostet und ich hab einen Haufen Geld geschenkt bekommen.«
»Ach so, jetzt kapier ich«, sagte Russell. »Das ist wieder so eine von deinen Phantasiegeschichten wie die, dass du in der Schule beliebt bist oder einen Freund hast.« Er hatte die Stimme erhoben und war richtig böse. »Aber das ist und bleibt eine Phantasiegeschichte. Du bist nämlich abartig und potthässlich.
Keiner kann dich leiden, und das ändert sich auch nicht – außer bei so hoffnungslosen Fällen wie Alice oder dem Spastiker Nichol-arsch.«
»Russell!«, riefen Maura und Ralph gemeinsam von der Tür her.
Georgia musste kein Wort sagen. Russell war so laut geworden, weil Georgia
nicht so verstört wie sonst reagiert hatte, dass die Eltern den letzten Teil seiner Rede mit angehört hatten. Sie starrten entsetzt über die Kommode ins Zimmer und taten Georgia fast Leid. Immer wieder hatte sie ihnen klar zu machen versucht, wie Russell sich ihr gegenüber verhielt, aber jetzt, wo sie es selbst mitbekommen hatten, war es ihr egal geworden. Sie zuckte einfach mit den Schultern.
Russell wandte sich ihr mit zornrotem Gesicht zu. »Das zahl ich dir heim«, zischte er.
»Was zahlst du mir heim?«, sagte Georgia gut hörbar. »Du hast dir das doch selbst eingebrockt. Ich war einfach nur hier, wie immer.«
Niccolò entfernte den Mantel von Falcos Gesicht Das lange, quälende Warten auf seinen Tod war vorüber. Sein Sohn hatte jetzt seinen Frieden und der Herzog konnte ihn mit allem Prunk beisetzen lassen. Er würde den Leichnam nach Giglia bringen und ihn dort in der Familiengruft der Chimici begraben lassen. Dann würde er diese Frau – wie hieß sie doch – Miele? – bitten eine Statue als Denk
mal von ihm anzufertigen.
Er sah auf seinen geliebten Sohn hinunter, dann warf er den Kopf zurück und stieß ein lautes Heulen aus. Seine Schrei ließ Beatrice herbeistürzen. Sie war ge
rade auf dem Weg gewesen, um ihren Vater von seiner langen Wache abzulösen, und der schauerliche Schrei sagte ihr sofort, was geschehen war.
Doch als sie das Zimmer betrat, fuhr sie erschrocken zurück. Als Erstes sah sie Niccolòs Haar. Gestern noch war es fast durchgehend schwarz gewesen, hier und dort mit Grau durchzogen. Jetzt war es schlohweiß. In einem Tag war er um zehn Jahre gealtert.
Beatrices Blicke jagten voller Panik weiter. Der Schatten des stattlichen Herzogs wurde vom Abendlicht auf den gekachelten Boden geworfen. Falco lag über sei
nem Schoß wie der tote Christus in der Kathedrale von Giglia… aber von seinem Schatten war nichts zu sehen.
Als der Herzog begriff, was sie anstarrte, verstummte er. Mit dem leichten Ge
wicht seines Sohnes im Arm stand er auf. Langsam ging er auf das Bett zu und legte den Leichnam drauf. Der Schatten des Herzogs jedoch hatte leere Arme und eine Last von nichts hingelegt.
Niccolò sah Beatrice an. Sie machte die Geste der Glückshand und dann ein Kreuzzeichen.
Lucien befand sich mit Arianna und seinem Meister Rodolfo in dessen Gemach im Palast. Alle drei waren nervös. Rodolfo und sein Schüler hatten das Gefühl ge
habt, dass der Boden unter ihren Füßen aufstöhnte, so, als würde die Stadt von einem Erdbeben erschüttert.
»Was ist los?«, fragte Arianna, die nichts gemerkt hatte.
Rodolfo war an seine Spiegel getreten und stellte sie auf verschiedene Punkte ein. Lucien setzte sich neben Arianna. Zaghaft legte er ihr den Arm um die Schul
tern. »Alles wird
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