Stadt der Sterne strava2
Umhänge gaben ihnen ein exotisches Aussehen. Das war Georgia zunächst nicht aufgefallen, denn für sie sahen alle Talianer exotisch aus, aber irgendwas war tatsächlich anders an Aurelio und Raffaela.
»Wir kommen aus dem Osten«, sagte Raffaela. »Aber wir haben kein eigenes Land. Wir ziehen von Ort zu Ort. Darin sind wir denen ähnlich, die wir ja hier nicht nennen wollen.«
»Gibt es viele von euch?«, wollte Falco wissen.
»Sehr viele«, erwiderte Aurelio. »So viele wie Sand am Meer.«
»Allerdings nicht so viele hier in Talia«, fügte Raffaela hinzu. »Wir sind auf dem Weg in die Stadt der Sterne. Und in den nächsten Wochen kommen noch mehr von uns.«
»Sie ist ein Pilgerort für uns«, erklärte Aurelio. »Dort wird das Leben unserer Göttin gefeiert, obwohl die Stadt nichts davon weiß.«
»Ich weiß, was ihr seid!«, rief Cesare aus. »Zingari nennen wir euch, das fahrende Volk. Ihr kommt zur Stellata – da habe ich euch auch schon gesehen.«
»Euer Pferderennen interessiert uns allerdings nicht«, sagte Aurelio, jedoch ohne unhöflich zu sein. »Es fällt nur zufällig mit unserem älteren Fest zusammen. Der Tag wird nicht nur in eurer Stadt begangen, doch einige von uns ziehen sie anderen Orten vor. Sie liegt uns einfach.«
Er drehte den Kopf in Georgias Richtung. »Du brauchst dich nicht zu sorgen. Die Politik in Talia oder einem anderen Land kümmert uns nicht. Da wir kein Land haben, sind wir nicht interessiert an Streitigkeiten, wer welche Landstriche oder Städte regiert. Aber als Wanderer sind wir an anderen Reisenden interessiert, von wo und aus welcher Zeit sie auch kommen. Auf unseren Reisen begegnen wir vielen Menschen und wir sind bemüht von ihnen zu lernen. An unserem letzten Aufenthaltsort machten Raffaela und ich die Bekanntschaft eines Mannes von dem Orden, den Signor Gaetano erwähnt hat. Die Stadt heißt Bellona und der Mann war weise und gelehrt.«
»Richtig«, sagte Gaetano. »Das habe ich auch gehört. Aber ich bin in dem Glauben aufgezogen worden, dass diese Leute mächtig und gefährlich sind und dass sie den Schlüssel zu einem wichtigen Geheimnis besitzen, mit dem Talia geholfen werden könnte. Allerdings weigern sie sich es für das allgemeine Wohl einzusetzen.«
Lucien wollte gerade unterbrechen, doch Gaetano bedeutete ihm zu warten. »Ich weiß, ich weiß. Ich glaube auch nicht mehr, dass das stimmt.« Er wandte sich an Falco. »Es schmerzt mich, das zu sagen, aber ich glaube, dass Vater diese Vorstellung nur verbreitet, damit er diesem seltsamen Geheimnis auf die Spur kommen kann. Und ich befürchte, er will es nicht einsetzen, um den Menschen in Talia zu helfen.«
Es herrschte Schweigen in der Runde. Luciens Meinung von dem jungen Chimici wurde immer besser. Er konnte sich vorstellen, wie schwer es Gaetano fiel, seinen Verdacht zu äußern. Falco kämpfte sichtlich mit seinen Gefühlen; er liebte seinen Vater, doch er wusste auch, wie bestimmend Niccolò sein konnte. Hatte er nicht soeben erst gehört, dass der Herzog gerade sein eigenes Schicksal verplante?
Cesares Gefühle waren nicht weniger vielschichtig. Es war schwer, sowohl Remaner als auch Widder zu sein. Da die Montonaioli, wie die Bewohner des Widder-Bezirks in Talianisch auch genannt wurden, von alters her mit Bellezza verbündet waren, misstrauten sie den Chimici. Aber heute hatte er zum ersten Mal persönlich welche kennen gelernt. Stallburschen, selbst wenn sie die Söhne der Stallmeister waren, kamen gewöhnlich nicht mit den Kindern des Herzogs in Berührung.
Georgia wiederum kam sich völlig verloren vor. Sie wusste ja kaum, wer die Chimici waren oder warum sie mit den Stravaganti verfeindet waren. Und was sie von den geheimnisvollen Manusch halten sollte, wusste sie auch nicht so recht.
Aurelio sagte, dass sie auf keiner Seite standen, aber ging das denn überhaupt?
Jeder in Remora schien so überzeugt von seinem Standpunkt.
»Glaubt mir«, fuhr Gaetano fort, »ich versuche nicht irgendwas herauszufinden, was meiner Familie bei ihren Komplotten hilft. Ich will nur eines wissen: Kann Senator Rossis Geheimnis meinem Bruder helfen?«
Luciens Gedanken gingen zurück zu seinem ersten Treffen mit Rodolfo auf dem Dachgarten in Bellezza. »Die Chimici wollen nur den Chimici helfen«, hatte der Stravagante gesagt. Sie hatten sich darüber unterhalten, dass die mächtige, nordtalianische Familie die Kunst der Stravaganza dazu verwenden wollte, hinter die Geheimnisse der modernen Medizin und
Weitere Kostenlose Bücher