Stadt des Schweigens
Mitmachen überreden wollen? Wie konnte er glauben, dass ihr Vater in den Bund eintreten würde?
Sie las weiter.
Philip ist heute Abend ausgegangen. Er hat sich mit dieser Gruppe getroffen, der Sieben. Als er zurückkam, war er sehr bedrückt. Ich bin besorgt … Alles ist jetzt anders. Alles hat sich … verändert.
Avery sah auf ihre Uhr und bemerkte erschrocken, dass fast zwei Stunden vergangen waren. Es gab noch so viele Tagebücher zu lesen, dass sie ein zweites Paar Augen gebraucht hätte.
Nervös zog sie den Zettel mit Gwens Handynummer aus der Tasche, wählte und hinterließ noch eine Nachricht. Verunsichert stand sie auf. Wo steckte Gwen bloß?
Zur Hölle mit der Geheimniskrämerei. Sie lief zur Bodentreppe, blieb stehen, kehrte zum Karton mit den Tagebüchern zurück, entnahm die von 1988 und 1990 und eilte wieder zur Treppe.
Minuten später setzte sie, mit den Tagebüchern in der Tasche, aus ihrer Zufahrt zurück und fuhr los. Sie erreichte das Gästehaus in kürzester Zeit, parkte davor und eilte zum Eingang. Ehe sie die Tür aufdrücken konnte, wurde die von innen geöffnet.
Erschrocken wich Avery zurück.
Ihre alte Freundin Laurie kam heraus.
„Avery!“ sagte sie überrascht. „Das ist ja merkwürdig. Ich habe gerade an dich gedacht. Ich wollte dich schon anrufen oder kurz vorbeikommen, aber es war so viel los wegen dem Fest …“
„Kein Problem. Schön, dich zu sehen.“
Laurie sah auf ihre Uhr. „Ich würde gern einen Schwatz halten, aber ich bin schon spät dran.“
„Ich wollte auch nur zu Gwen Lancaster. Ist sie da?“
Laurie runzelte die Stirn. „Gwen Lancaster? Die Frau in 2 C?“
„Ja. Ist sie da?“
„Ich weiß es nicht. Ich habe sie heute noch nicht gesehen.“ „Wann hast du sie das letzte Mal gesehen? Es ist wichtig.“
Laurie machte eine sorgenvolle Miene. „Das weiß ich wirklich nicht. Ich behalte unsere Gäste nicht im Auge.“
Da Avery merkte, wie seltsam ihre Frage geklungen haben musste, zwang sie sich zu einem Lachen. „Natürlich nicht. Falls sie nicht da ist, könnte ich ihr eine Nachricht hinterlassen?“
„Aber sicher. Dagegen gibt es kein Gesetz.“ Sie schob sich den Taschenriemen weiter auf die Schulter, ging an ihr vorbei, blieb aber noch einmal stehen und drehte sich um. „Gwen Lancaster ist nicht von hier. Woher kennst du sie?“
Avery zuckte lässig mit einer Schulter. „Wir sind uns im Azalea Cafe begegnet und kamen gut miteinander klar.“
„Ach so.“ Laurie furchte ein wenig die Stirn. „Ihr Bruder ist verschwunden. Tom. Er hat auch bei uns gewohnt.“
„Habe ich gehört.“
„Eine Frau kann heutzutage nicht vorsichtig genug sein, Avery.“
Sie bekam Gänsehaut auf den Armen. War das eine Warnung, gar eine Drohung oder nur eine banale Bemerkung?
„Mir scheint, Männer können auch nicht vorsichtig genug sein“, erwiderte sie.
Laurie zögerte und lachte, jedoch ohne Wärme. „Ich muss gehen. Wir sehen uns noch.“
Avery schaute ihr nach, ehe sie sich abwandte und das Haus betrat. Da niemand am Empfang war, stieg sie die Treppe hinauf und ging zum Ende des Flures.
Sie erwartete fast, Gwens Tür halb offen und das Zimmer durchwühlt vorzufinden wie beim letzten Mal.
Doch die Tür war fest geschlossen. Avery klopfte und wartete einen Moment, dann klopfte sie noch einmal. „Gwen!“ rief sie leise. „Ich bin es, Avery!“
Keine Antwort. Von unten kam das Geräusch der sich öffnen den und schließenden Eingangstür. Sie vergewisserte sich mit einem Blick über die Schulter, dass sie allein war, und versuchte die Tür zu öffnen. Abgeschlossen.
Avery holte Zettel und Stift aus der Tasche und kritzelte Gwen eine kurze Mitteilung – sie solle sie schnellstens anrufen, da sie etwas Wichtiges entdeckt habe. Sie schrieb ihre Nummer auf, beugte sich herunter und schob den Zettel unter der Tür hindurch.
Als sie sich umdrehte, stand Laurie einige Schritte hinter ihr. Avery lachte nervös auf. „Du überraschst mich, Laurie. Ich dachte, du wärst gegangen.“
„Cypress Springs ist ein schöner Ort zum Leben, Avery“, erwiderte sie. „Dir ist das vielleicht nicht klar, du bist schon lange fort.“
„Wie bitte?“
„Die Leute hier mögen die Dinge, wie sie sind. Ich dachte, das solltest du wissen.“
Verwundert und beunruhigt starrte Avery ihre alte Freundin an. „Du beziehst dich auf Die Sieben, nicht wahr?“
„Ich weiß nicht, wovon du redest.“
„Doch, das weißt du. Von der Sieben, die dafür sorgt, dass
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