Stadt, Land, Kuss
Fox-Gifford unwirsch. »Vielleicht kann er nie wieder arbeiten.«
»Mr Fox-Gifford, du bist unerträglich.« Sophias Stimme schwillt zu einem schrillen Jammern an. »Es ist doch völlig egal, ob er wieder arbeiten kann. Aber was, wenn er nie wieder reiten wird?« Sie setzt den Jungen ab, und er wackelt geradewegs auf die Tür zu meinem Versteck zu. Ich ducke mich, lehne mich rücklings gegen die Tür und stemme mich mit gebeugten Knien gegen die sanften Stöße. Bitte, geh weg.
»Komm her, Sebastian. Lass die Tür in Ruhe«, ruft Sophia. »Sei ein braver Junge.«
»Wir müssen gehen. Die Hunde müssen raus«, meint der alte Fox-Gifford, »und die Pferde brauchen ihr Futter. «
»Wir kaufen euch auf dem Heimweg ein paar Süßigkeiten«, verspricht Sophia, woraufhin Sebastian ein letztes Mal gegen die Tür drückt.
»Sophia, du bist viel zu nachsichtig mit ihm, verdammt noch mal«, schimpft der alte Fox-Gifford. »Der Junge sollte den Stock zu spüren bekommen, das würde ihm diese Aufsässigkeit schnell austreiben.«
»Das hat doch schon bei Alexander nicht funktioniert, nicht wahr?« Sophias Stimme verklingt, genau wie das Geräusch der Schritte, und ich stoße einen erleichterten Seufzer aus, dass sie endlich weg sind. Aber meine Erleichterung ist nur von kurzer Dauer.
»Sie schulden mir eine Erklärung«, sagt Debbie, als sie die Tür zum Entsorgungsraum öffnet.
»Ich habe Sie angelogen. Es tut mir leid, aber …« Ich ziehe ein zerknülltes Papiertaschentuch aus der Tasche und putze mir die Nase. »Ich bin verantwortlich für Alex’ Unfall. Es war alles meine Schuld.«
Debbie weicht einen Schritt zurück, wie wenn sie um ihre eigene Sicherheit fürchte.
»Ich dachte, ich könnte Gloria noch rechtzeitig aus dem Haus holen. Ich hatte sie auch fast … aber das Feuer … Alex hat mir das Leben gerettet. Er ist ein Held.« Schluchzend breche ich zusammen. »Verstehen Sie das denn nicht? Ich konnte es nicht ertragen, ihn nicht zu sehen. Ich konnte es einfach nicht ertragen.«
»Eigentlich ist das nicht erlaubt, doch Alex braucht jetzt jemanden wie Sie, eine gute Freundin, nicht seine fürchterliche Familie.« Debbie legt einen Arm um meine Taille und führt mich an sein Bett. »Kommen Sie. Sie haben fünf Minuten.«
»Was soll ich denn tun?«, frage ich, und Panik überkommt mich. Beim letzten Mal war ich vollkommen eingeschüchtert von der unvertrauten Krankenhausatmosphäre und dem Anblick des von Apparaten und Maschinen umringten Alex. Jetzt erscheint mir das alles nicht mehr so fremd, und ich habe das Gefühl, ich sollte etwas tun. »Kann er mich hören?«
»Vielleicht«, antwortet Debbie. »Reden Sie am besten so mit ihm, als könnte er es.«
»Was soll ich denn sagen?«
»Das weiß ich doch nicht.« Sie sieht mich mit ihren kühlen grauen Augen an. »Sie kennen ihn viel besser als ich.«
Aber das tue ich doch gar nicht, denke ich, als ich mich neben Alex setze. Ich lasse eine Hand über das Laken gleiten, mit dem er zugedeckt ist, und schiebe meine Finger vorsichtig unter den Infusionsschlauch, bis ich sie mit den seinen verschränken kann. Sanft drücke ich seine Hand, allerdings spüre ich keine Reaktion, kein Zeichen, dass er meine Berührung registriert.
Ich weiß überhaupt nichts von diesem Mann. Welche Musik mag er? Was ist sein Lieblingsfilm? Sein Lieblingsbuch? Wie konnte ich nur so dreist sein, mich von Debbie als gute Freundin bezeichnen zu lassen? Dabei bin ich im Grunde noch immer eine Fremde für ihn.
»Hallo«, flüstere ich und beuge mich weiter vor, bis ich seine Ohrmuschel sehen kann. »Hallo«, wiederhole ich ein wenig lauter, aber mir antwortet nur das leise Geräusch seines Atems. Ich kann seine Stimme nicht hören, ich weiß schon gar nicht mehr genau, wie sie eigentlich klingt. Auch sein Geruch nach Aftershave, Kühen und Penizillin ist verflogen. Jetzt riecht seine Haut nach Desinfektionsmittel und reinem Alkohol, viel zu sauber, als sei selbst das Wenige, was ich von Alex kannte oder zu kennen glaubte, verschwunden.
Mit jedem Schlag meines Herzens wächst ein glühender Schmerz in meiner Brust, als ich zu spät erkenne, warum ich hier neben ihm sitze und was mich dazu drängt, so lange wie möglich bei ihm zu bleiben. Ich unterdrücke ein Schluchzen, doch es ist zu spät. Heiße Tränen laufen über meine Wangen und tropfen auf das Laken.
Was mich von Anfang an zu ihm hingezogen hat, war nicht bloß körperliches Begehren oder die Tatsache, dass ich einsam war und
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