Stadt, Land, Kuss
begegnen, grüße ich sie, aber sie reagiert nicht darauf, was vermutlich kein Wunder ist, nachdem sie mich nur ein einziges Mal gesehen hat und ich eilig an ihr vorbeihaste, um so schnell wie möglich zu Alex zu kommen.
Auf seinem Bett liegt eine reglose, stille Gestalt. Sie ist mit einem zerknitterten weißen Laken zugedeckt wie eine Leiche.
Ist er …? Ich strecke die Hand aus und ziehe das Laken von seinem Gesicht. Keine Schläuche mehr, keine Apparate.
»Ich dachte, du wärst aufgewacht«, flüstere ich und frage mich, wie sich Debbie bloß so täuschen konnte.
Ich beiße mir auf die Lippen, als ich seine Wange berühre. Sie ist kühl, und die Bartstoppeln kratzen. Er ist blass, und der blaue Fleck an seiner Schläfe hat sich zu einem dunklen Grauviolett verfärbt. Seine Augen sind geschlossen. Doch das Laken auf seinem Körper bewegt sich sacht, und seine Lippen öffnen sich und lassen warmen Atem ausströmen. Trotzdem dauert es noch einen Moment, bis ich mir ganz sicher bin, dass er tatsächlich am Leben ist und ich mir das alles nicht nur einbilde.
Der Schreck darüber, ihn so vorzufinden, weicht erst Erleichterung, dann Angst.
»Alex, bitte wach auf …«
Er reagiert nicht, und ich weiß nicht, was ich machen soll, denn es gibt so vieles, was ich ihm sagen möchte. Wie leid es mir tut, dass ich ihn falsch eingeschätzt habe, dass ich gedacht habe, er sei genau wie sein Vater, und dass ich so unfreundlich zu ihm war, als er mir nur helfen wollte. Ich will ihm sagen, dass mein Herz jedes Mal schneller schlägt, wenn ich in seiner Nähe bin oder an ihn denke, und wie sehr ich …
»Alex«, sage ich, »ich liebe dich.« Ich beuge mich vor und drücke meine Lippen auf seinen Mund. Gerade noch blicke ich auf seine geschlossenen Lider, und im nächsten Moment schaue ich ihm in die Augen. Seine Pupillen werden dunkler und weiten sich. Die Fältchen in seinen Augenwinkeln vertiefen sich. »Alex?«
Ich richte mich auf und sehe ihn überrascht an.
Alex’ Lippen, die ich gerade so dreist geküsst habe, verziehen sich zu einem Lächeln, und meine Zehen krümmen sich vor Scham. Hat er etwa gehört, was ich gesagt habe?
»Ich dachte, du hättest einen Rückfall«, sage ich fröhlich.
»Und ich dachte, ich träume«, antwortet er leise. Mein Herz schwingt sich in ungeahnte Höhen auf, nur um gleich wieder krachend auf dem Boden der Tatsachen aufzuschlagen, als er hinzufügt: »Eloise?«
Wenn ich in diesem Moment an einen Herzmonitor angeschlossen wäre, würde er eine flache Linie anzeigen. Er hat doch gesagt, da wäre nichts zwischen ihnen.
»Ich bin Maz.« Unsicher sehe ich ihn an. Er hat einen Schlag auf den Kopf bekommen. Er war eine ganze Weile bewusstlos. Spreche ich noch mit dem Alex, den ich kenne, oder mit einem anderen, der sein Gedächtnis verloren hat? »Erinnerst du dich nicht mehr an mich?«
»Wie könnte ich dich vergessen?«, entgegnet er trocken. Er dreht sich auf die Seite, stützt sich auf einem Ellbogen ab und zuckt vor Schmerz zusammen. »Ist sie weg?« Dann lässt er sich zurück auf den Rücken sinken und massiert sich die Stirn. »Gott sei Dank. Versteh mich nicht falsch, sie ist hinreißend, aber von ihrem pausenlosen Geplapper über ihr neues Pferd habe ich Kopfschmerzen bekommen. Darum habe ich so getan, als wäre ich eingeschlafen. Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe.« Er grinst, und mir wird klar, dass er sich kein bisschen verändert hat. »Ich hätte nicht gedacht, dass du dir solche Sorgen um mich machen würdest …«
»Soll ich dir irgendetwas holen?«, frage ich, bemüht, meine Verwirrung zu überspielen. Es ist ja nichts dabei, einem bewusstlosen Mann seine Liebe zu gestehen, aber erkennen zu müssen, dass er die ganze Zeit über wach war, ist dann doch etwas anderes. Er spricht mich nicht darauf an, vielleicht weil er meine Gefühle nicht verletzen will. Denn ich bezweifle stark, dass er für mich das Gleiche empfindet.
»Ich hatte genug Getue für heute, Maz. Ich brauche nichts.« Alex setzt sich auf, lehnt sich gegen das Kopfende des Bettes und klopft auf die Matratze. »Komm, setz dich her und erzähl mir den neuesten Klatsch. Niemand will mir etwas verraten.«
Ich setze mich ihm gegenüber ans Fußende. Er trägt einen Schlafanzug mit T-Shirt-Oberteil. Ein paar dunkle Haare kräuseln sich am Halsausschnitt.
»Ich will alle blutigen Details hören«, sagt er. »Bis jetzt weiß ich nur, dass ich einen Schlag auf den Kopf bekommen und eine leichte
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